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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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und ging zwischen den Arbeitern umher, während Deva sein Telefon benutzte. Sartaj lauschte Devas nasalem südlichen Akzent, der ihn jedesmal an den Filmschauspieler Mehmood und an das Lachen der Kindheit erinnerte. Er versuchte, nicht zu tief einzuatmen. Es roch zwar gut nach frischen Brotlaiben, aber der schwere Duft wirkte in der stickigen Hitze geradezu überwältigend. Deva tätigte noch einen zweiten Anruf, und Sartaj wußte, daß er auf der Klaviatur seiner Beziehungen in ganz Navnagar spielte und sich anhörte, was da zurücktönte.
    Deva lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, legte die fünf Finger einer Hand gegen die anderen und sagte: »Okay, Saab, notieren Sie.«
    Er nannte Sartaj die Namen von fünf Leuten, mit präzisen Angaben darüber, wie sie mit Wasim Zafar Ali Ahmad verwandt waren, und seiner Einschätzung der Frage, inwieweit Wasim mit ihnen zusammenarbeitete, legal und anderweitig. Solide Informationen.
    »Gute Arbeit, Deva«, sagte Sartaj. Katekar nickte wohlwollend. Sartaj legte zwei Fünfhundert-Rupien-Scheine neben Deva auf den Schreibtisch. Sie waren alte Freunde, aber auf lange Sicht war es besser, die Beziehung professionell zu handhaben. Gefälligkeiten führten auf Dauer zu beiderseitigem Groll, Cash für Information dagegen garantierte, daß die Quelle nicht versiegte.
    Sartaj und Katekar verabschiedeten sich von Deva und gingen zum Bengali Bura hinauf. Sartaj blickte über die Schulter auf das Meer der schmutziggrauen und weißen Dächer von Navnagar zurück, das sich vor der untergehenden Sonne im weiten Bogen von Horizont zu Horizont erstreckte. Wie immer beeindruckte ihn das Bild mit seinen gigantischen Ausmaßen, seiner blutroten Melodramatik, der drängenden Energie seiner bloßen Existenz - unfaßbar, daß es so etwas wie dieses Navnagar überhaupt gab. Erst jetzt sah er, daß Katekar eine große Papiertüte mit frischen Pavs in der Hand hielt, die er in den nächsten Tagen mit seiner Familie verzehren würde. Was Katekar und auch sonst jedermann aß, stammte zu einem großen Teil aus Navnagar oder wurde zumindest von dort geliefert. In Navnagar wurden Kleidung, Plastik, Papier und Schuhe hergestellt, Navnagar war der Motor, der Leben in die Stadt pumpte.
    Wasim Zafar Ali Ahmad erwartete sie, von Bittstellern umdrängt, vor Shamsul Shas Kholi. Sein Handy glitzerte in seiner Hand, als er Sartaj und Katekar zuwinkte. Eine Frau zog ihn am Ellbogen, und er redete in schnellem Bengali auf sie ein und machte sich unter vielen zusichernden Gebärden frei.
    »Saab«, sagte er. »Tut mir leid, aber wenn mich diese Leute einmal am Wickel haben, lassen sie nicht wieder los.«
    »Sie sprechen Bengali?«
    »Ein bißchen, ein bißchen. In dem Bengali, das die sprechen, ist viel Urdu drin, wissen Sie.«
    »Und was sprechen Sie sonst noch alles?«
    »Gujarati, Saab, Marathi, etwas Sindhi. Wenn man in Mumbai aufwächst, schnappt man von allem ein bißchen was auf. Ich versuche auch, mein Englisch zu verbessern.« Er hielt eine Ausgabe von Filmfare hoch. »Ich lese, wenn es geht, jeden Tag eine englische Zeitschrift.«
    »Sehr beeindruckend, Ahmad-saab.«
    »Are, Sir, ich bin jünger als Sie. Bitte nennen Sie mich Wasim. Bitte.«
    »Gut, Wasim. Haben Sie schon mit Shamsul Shas Verwandten gesprochen?«
    »Nein, Sir, ich dachte, das machen Sie lieber selbst. Aber einer von den Leuten hier hat gesagt, sein Vater sei nicht da, sondern bei der Arbeit. Die Mutter ist zu Hause.«
    »Da drin?«
    »Ja.«
    »Halten Sie die Leute auf Abstand, während ich mit ihr rede.«
    Der tote Junge hatte ein besseres Haus für seine Familie gekauft, das sah man schon daran, wieviel Platz es in der Gasse einnahm. Sartaj klopfte an. Von der Tür aus erblickte man vier Räume und eine separate Küche mit Resopalschränken. Die Mutter schickte ihre Töchter in die hinteren Zimmer, richtete sich kerzengerade auf und wartete.
    »Sie sind Moina Khatoon?« fragte Sartaj. »Shamsul Shas Mutter?«
    »Ja.«
    Moina Khatoons Töchter waren in strenge Purdahs 502 gehüllt, sie selbst schien es im Alter nicht mehr so genau zu nehmen, zumindest nicht in ihren eigenen vier Wänden. Sie sah aus wie sechzig, mußte aber mindestens zehn Jahre jünger sein. Sie trug ein blaues Salvar-kamiz und um den Kopf einen weißen Dupatta.
    »Ein schönes Kholi hat Ihr Sohn Ihnen da gekauft.« Sartaj hätte nicht sagen können, ob Moina Khatoons undurchdringliche Miene Taktik war oder eine Eigenheit von ihr. Er konnte sie überhaupt nicht einschätzen.

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