Der Pate von Bombay
schon.«
Das ließ sich Katekar nicht zweimal sagen. Rohit war zwar nicht sehr weit gegangen, aber Bharti war Shalinis Schwester, und wenn Shalini meinte, sie könnten sich setzen, dann würde Katekar das auch tun.
Sie fanden ganz am Ende rechts zwei Matten und ließen sich darauf nieder. Katekar zog seine Schuhe aus, kreuzte die Beine und seufzte. Die Sonne stand noch hoch genug, um seine Knie zu wärmen, doch an der Brust spürte er schon die aufkommende Brise. Er knöpfte sein Hemd auf und wischte sich mit seinem Taschentuch den Nacken, während Shalini, Rohit und Mohit bei dem Jungen, der ihnen die Plätze angewiesen hatte, ihre Bestellung aufgaben. Katekar wollte noch nichts essen. Er genoß es, endlich Ruhe zu haben und nicht wie der Kellner, der jetzt zu seinem Stand eilte, von einem Fuß auf den anderen treten zu müssen. Schon kam er wieder zurück und balancierte das Essen routiniert zwischen den Spaziergängern durch.
»He, Tambi 617 «, sagte Katekar zu ihm, »für mich eine Narial pani 446 .«
»Ja, Seth 572 .« Und schon war er wieder weg.
»Narial pani?« Shalini sah ihn spitzbübisch an.
Er hatte ihr vor ein paar Wochen von einem Artikel über schädliches Fett in Kokosnüssen erzählt, den er in einer Nachmittagszeitung gelesen hatte. Sie hatte abgewinkt und gesagt, sie glaube nicht an all den neumodischen Kram, der in den Zeitungen stehe; wer wohl je davon krank geworden sei, daß er Kokosnüsse gegessen oder Narial pani getrunken habe? Doch sie vergaß nichts, und sie würde ihm seine Abkehr von der Wissenschaft nicht durchgehen lassen. Er legte den Kopf schräg und lächelte. »Ausnahmsweise.«
Sie erwiderte sein Lächeln und ließ ihn seine Narial pani trinken. Er schaute Mohit zu, der mit Hingabe seine Sevpuris verzehrte, während Rohit den vorbeigehenden Mädchen nachsah. Ein Schiff balancierte auf dem schimmernden Horizont. Katekar wußte, daß es sich bewegte, wenn er die Bewegung auch nicht erkennen konnte.
»Dada!«
Katekar drehte sich um. Vishnu Ghodke kam heftig winkend heran, gefolgt von Bharti und den Kindern. Es gab einigen Aufruhr, das übliche aufgeregte Hin und Her der Begrüßungen, dann ließen sich die beiden Familien endlich auf den Matten nieder. Bharti saß neben Shalini, Vishnu neben Katekar, die Kinder waren zwischen Bharti und Vishnu eingezwängt. Die beiden Mädchen trugen die üblichen Haarschleifen und schicken Kleider, der Junge aber, nach vielen Gebeten und Ritualen als letzter geboren, war angezogen wie für eine Hochzeit. Er trug eine kleine blaue Fliege und eine große rote Spielzeugarmbanduhr. Mohit und Rohit beugten sich vor und schubsten ihn, und in Katekar wallte Zuneigung auf, weil sie die geschniegelte Frisur des gezierten kleinen Kerls durcheinanderbrachten. Er kniff die Mädchen in die Wangen, und Shalini und Bharti stürzten sich sofort in ein angeregtes Gespräch über irgendeine Familienintrige unter entfernten Verwandten. Am liebsten mochte Katekar die ältere seiner beiden Nichten, die still und mit zunehmender Einsicht und Resignation mit angesehen hatte, wie ihr Bruder zum Mittelpunkt der Welt ihrer Eltern wurde.
»Du bist wieder gewachsen, Sudha«, sagte er zu ihr. »Wie groß du schon bist!«
»Sie ißt wie ein Pferd.« Ihr Vater lachte schallend und legte ihr die Hand auf den Kopf.
Sudha duckte sich weg und flüsterte ihrer Schwester etwas ins Ohr, und Katekar sah, wie sich ihr Kinn wütend verzog. Vishnu hatte eine Stimme, die keinen Lautsprecher gebraucht hätte. »Sie will eben so groß werden wie ich«, sagte Katekar. »Komm, Sudha, setz dich zu mir. Ich habe auch einen Bärenhunger. Are, Tambi!«
Sudha tat wie geheißen, und gemeinsam studierten sie die fleckige Speisekarte und stellten ein Festmahl aus Bhelpuri, Papri chaat und Pav bhaji, Katekars Lieblingsgericht, zusammen. Sie aßen, und Katekar genoß den plötzlichen Übergang von sauer zu süß auf seiner Zunge. Essen war die größte und verläßlichste aller Freuden, und nie war Katekar so zufrieden wie in den Stunden, wenn er im Angesicht des sanft wogenden Meeres mit Frau, Kindern und Verwandten am Chowpatty saß und aß. Bharti redete und redete. Sie hatte einen glänzenden grünen Sari an, einen neuen, dachte Katekar. Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, war sie ein stämmiges Mädchen gewesen, zu schüchtern, um das Wort an ihn zu richten. Nur wenige Jahre später hatte Vishnu ihr eine Mangalsutra geschenkt, schwerer als Katekar sie je bei einer Hochzeit in der
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