Der Pate von Bombay
Überraschungen. Ich mag keine Überraschungen. Ich will Information. Wenn Sie was wissen, sagen Sie's mir. Auch wenn Sie meinen, es sei unwichtig. Mehr Information ist besser als weniger Information. Verstanden?«
»Saab, wirklich, ich wollte Sie nicht zum Narren halten.«
»Wenn Sie glauben, ich bin ein Narr, dann bin ich vielleicht die Sorte Narr, die gewisse Geschäfte hier in der Gegend unter die Lupe nimmt und sich gewisse Leute genauer anschaut. Wie heißen sie noch gleich, Ihre Cousins? Salim Ahmad, Shakil Ahmad, Naseer Ali, Amir 015 ...«
»Alles klar, Saab. Es kommt nicht wieder vor.«
»Gut. Dann kann das vielleicht eine längere Beziehung werden zwischen uns.«
»Genau das will ich, Saab, eine dauerhafte Interessengemeinschaft.«
Sartaj zog und zupfte und schloß den Reißverschluß. »Den Politiker können Sie anderswo spielen. Bei uns nicht.«
»Klar, Saab.«
Sartaj holte sein Taschentuch hervor und drehte sich um. Wasim hielt sein Filmfare -Heft hoch.
»Hier, bitte, Saab.«
»Wie?«
»In dem Heft sind gute Informationen, Saab.«
Ein verschlagenes kleines Lächeln erschien auf Wasims Gesicht. Sartaj nahm die Zeitschrift, und als er darin zu blättern begann, öffneten sich die Seiten bei einem Schwarzweißfoto von Dev Anand, das teilweise von einem dünnen Bündel Tausend-Rupien-Scheine verdeckt wurde, säuberlich von rechts nach links gestaffelt und mit einer Büroklammer zusammengehalten.
»Nur ein kleines Geschenk, Saab, in der Hoffnung auf unsere künftige Freundschaft.«
»Das wird sich zeigen.« Sartaj rollte die Zeitschrift zusammen und klemmte sie sich unter den Arm. »Ich habe Birendra Prasad gesagt, er soll seine Söhne morgen aufs Revier bringen. Sollte er das nicht tun, behalten Sie die beiden im Auge, damit wir sie uns, wenn nötig, greifen können.«
»Kein Problem, Saab. Und, Saab, vielleicht können Sie Majid Khan mein Salaam ausrichten ...«
»Mach ich. Aber erwarten Sie nicht, daß Sie für viertausend Rupien zum Ehrengast des Reviers avancieren.«
»Nein, nein, Saab. Wie gesagt, es ist nur ein kleines Geschenk.«
Sie ließen Wasim stehen, und Sartaj war zufrieden, daß der Mann die wahre Natur ihrer gegenseitigen Abhängigkeit erfaßt hatte. Im Gypsy rollte er die Zeitschrift auf, nahm einen Schein heraus und gab ihn Katekar, der ihn in seine Brusttasche steckte. Sartaj würde auch Majid etwas geben. Er war nicht verpflichtet, Geld nach oben weiterzureichen. So geringe Beträge - unter einem Lakh - durfte man als Beamter im Außendienst behalten, und die Oberinspektoren und DCPs gaben nur etwas ab, wenn ein ansehnlicher Kuchen zu verteilen war. Aber Sartaj würde Majid Wasim Zafar Ali Ahmads Grüße ausrichten und ihm einen Tausender anbieten - über den Majid allerdings nur lachen würde. Sie kannten einander seit langem, und ein Tausender oder auch vier Tausender waren allenfalls Kleingeld.
»Saab«, sagte Katekar, »was ist mit heute abend?«
»Ich hab's nicht vergessen.« Katekar wollte sich den Abend freinehmen und mit seiner Familie ausgehen. »Fahren Sie nach Juhu. Sie können dort aussteigen, und ich fahre weiter.«
»Aber nein, Sie müssen doch nicht -«
»Schon gut. Fahren Sie.«
Warme Zuneigung zu dem behäbigen, zuverlässigen Katekar wallte in Sartaj auf. Megha hatte immer gesagt, er und Katekar seien wie ein altes Ehepaar, und vielleicht war es auch so, doch Katekar war auch für Überraschungen gut. »Ich dachte, Sie mögen diese Bangladeshis nicht«, sagte Sartaj.
»Ich mag die Bangladeshis in Bangladesh.«
»Und die Frau? Moina Khatoon?«
»Sie hat einen Sohn verloren. Ein Kind zu verlieren ist sehr schlimm. Auch wenn der Junge ein Dieb war. Wie ging noch mal dieser Dialog aus Sholay? 590 Hangais Text? ›Die schwerste Last, die einem Mann aufgebürdet werden kann, ist die Totenbahre seines Sohnes.‹«
»Wie wahr.« Und einer Filmi-Logik folgend, hatte dieser Bengali-Sohn Raubüberfälle verübt, um seine armen Schwestern verheiraten zu können. Sie überquerten eine Überführung, unter ihnen ratterte ein Zug durch, an dessen Türen bereits die spätnachmittäglichen Menschentrauben hingen. Der Tote hatte mehr gewollt, als nur seine Schwestern zu verheiraten, er hatte einen Fernseher gewollt, einen Gasherd, einen Dampfkochtopf und ein größeres Haus. Zweifellos hatte er auch von einem nagelneuen Auto geträumt, einem wie dem silbernen Toyota Camry, der sie gerade überholte. Und all das war nicht unmöglich gewesen, schließlich hatten
Weitere Kostenlose Bücher