Der Pate von Bombay
bekommen.«
Katekar antwortete nicht. Er machte kehrt und ging zu den beiden Familien zurück. Als er jedoch später neben Shalini im Bett lag, mußte er an Sartaj Singh denken. Sie arbeiteten seit vielen langen Jahren zusammen. Sie waren zwar nicht direkt Freunde, besuchten sich nicht und fuhren nicht zusammen in Urlaub, aber sie kannten die Familie des anderen, und sie kannten einander. Katekar wußte in jedem Moment, was Sartaj empfand, er wußte seine melancholischen Stimmungen ebenso zu deuten wie die fröhlichen. Er vertraute dem Instinkt des Sardar. Gemeinsam hatten sie so manches Verbrechen aufgeklärt, und wenn sie scheiterten, hatte Katekar stets die Gewißheit, daß sie alles versucht hatten. Ja, es sprang nicht soviel dabei heraus, wie es anderswo möglich gewesen wäre, aber die Arbeit war befriedigend. So etwas würde Vishnu nie verstehen. Leute wie er konnten sich gar nicht vorstellen, daß man aus anderen als finanziellen Gründen Polizist sein wollte. Das Geld war natürlich willkommen, doch es gab auch den Wunsch, der Allgemeinheit zu dienen: »Sadrakshanaya Khalanighranaya«, so lautete das Motto der Polizei von Mumbai - »Die Wahrheit schützen, das Böse vernichten«. Katekar war sich darüber im klaren, daß er mit niemandem über dieses Bedürfnis sprechen konnte, schon gar nicht mit Vishnu, denn schöne Reden vom Guten, das man schützen, und vom Bösen, das man vernichten wollte, von Seva 574 und vom Dienen würden nur Gelächter hervorrufen. Nicht einmal unter Kollegen konnte man über so etwas sprechen. Aber es war da, wenn auch begraben unter schmutzigen Schichten des Zynismus. Bei Sartaj Singh hatte Katekar ihn hin und wieder bemerkt, diesen sinnlosen, peinlichen Idealismus. Zwar würde keiner von ihnen dem anderen gegenüber auch nur eine Andeutung über dessen romantische Ader machen, aber vielleicht war ihre Partnerschaft gerade deshalb so beständig. Ein einziges Mal nur - sie hatten ein zitterndes zehnjähriges Mädchen vor seinen Entführern aus einem Schuppen in Vikhroli gerettet - hatte Sartaj sich den Bart gekratzt und gemurmelt: »Gute Arbeit haben wir heute geleistet.« Das hatte genügt.
Und es genügte nach wie vor. Katekar seufzte, drehte den Kopf, streckte den Hals und schlief ein.
Sartaj sah zunächst nur die Leute, dicht gedrängt vor einer hohen Glasscheibe, die zu einem neuen Einkaufszentrum gehörte - sehr schön, aus emporstrebendem, von glänzendem Stahl unterbrochenem grauem Stein. Sartaj hatte in der neuen Filiale seiner Bank einige Dividendenschecks auf das Konto seiner Mutter eingereicht und war noch ganz geblendet von den eleganten Schaltern und der beispiellosen Herzlichkeit der Angestellten. Er blickte über die dunklen Köpfe hinweg und sah ein tiefes Rot aufleuchten.
»Saab, kommen Sie rein, und sehen Sie sich's an.« Ein Wachmann in blauer Uniform nickte Sartaj von der Seite zu.
»Ganga!« Sartaj ging durch die Tür, die Ganga bewachte. Er kannte ihn aus dem alten Gebäude der Bank, wo er mit grimmigem Blick und einer langläufigen Schrotflinte vor einem Juwelierladen Wache gestanden hatte. »Ist Ihr Seth auch hierher umgezogen?«
»Nein, Saab, ich bin jetzt bei einer anderen Firma.« Ganga zeigte auf seine Schultertresse, auf der in Blau und Weiß der Name seines neuen Arbeitgebers prangte: Eagle Security Systems.
»Bessere Firma?«
»Bessere Bezahlung, Saab.« Die Sicherheitsfirmen schössen wie Pilze aus dem Boden, und die Nachfrage nach Ex-Soldaten wie Ganga war groß. Er schloß die Tür hinter Sartaj und wandte sich zum Fenster. »Tibetische Sadhus, Saab«, sagte er voll Besitzerstolz.
Sie waren zu fünft, fünf in sich ruhende, abgeklärte Männer mit kurzgeschorenen Haaren und fließenden scharlachroten Gewändern, rings um ein hölzernes Podest, auf dem ein bunter Kreis in einem Quadrat zu sehen war, das wiederum von einem Kreis umschlossen war.
»Was machen die da?«
»Ein Mandala, Saab. Es kam gestern im Fernsehen, haben Sie's nicht gesehen?«
Sartaj hatte es nicht gesehen, aber jetzt sah er die Öffnungen in den vier Seiten des Quadrats und das Dunkelgrün, mit dem einer der Sadhus den inneren Kreis füllte. Ein anderer füllte auf dem grünen Grund eine Silhouette aus, offenbar die Gestalt einer Göttin. »Womit machen die das, mit einem Pulver?«
»Nein, Saab, mit Sand, gefärbtem Sand.«
Es wirkte beruhigend, den Sand aus den Händen der Sadhus rieseln zu sehen, ihre sicheren, anmutigen Bewegungen zu beobachten. Nach einer
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