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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Weile wurde der Aufbau des Mandala in mattweißen Umrissen erkennbar. Innerhalb des letzten Kreises würden mehrere voneinander getrennte Bereiche entstehen, Ovale, jedes mit einer anderen Szene aus menschlichen, tierischen und göttlichen Figuren. Zwischen den Ovalen, genau in der Mitte des Rades, war eine Form, die Sartaj nicht deuten konnte. Die Ovale lagen innerhalb des Quadrats, außerhalb davon kam wieder ein Rad mit weiteren Figuren, dann folgte ein Kranz mit eigenen Ornamenten, alles faszinierend komplex und irgendwie ansprechend. Sartaj überließ sich ganz der Betrachtung.
    »Wenn sie fertig sind, Saab, dann fegen sie alles wieder weg.«
    »Nach der ganzen Arbeit? Wieso denn das?«
    Ganga zuckte die Schultern. »Das ist wahrscheinlich wie mit dem Rangoli 525 unserer Frauen. Da es aus Sand ist, wird es sowieso nicht lange halten.«
    Trotzdem fand Sartaj es grausam, diese wirbelnde Welt zu schaffen und sie dann mit einem Schlag wieder zu zerstören. Aber die Sadhus wirkten heiter. Einer von ihnen, ein älterer Mann mit angegrautem Haar, fing Sartajs Blick auf und lächelte. Sartaj wußte nicht recht, wie er reagieren sollte, und so neigte er den Kopf, legte die Hand auf die Brust und lächelte zurück. Er schaute noch eine Weile zu, dann ging er davon.
    »Kommen Sie morgen wieder«, rief Ganga ihm nach, »dann ist das Mandala fertig.«

    Sartaj verbrachte den halben Tag im Gericht, um in einem länger zurückliegenden Mordfall auszusagen. Die letzten beiden Termine hatte er verpaßt, und der Verteidiger hatte deswegen ein Riesentheater gemacht, aber heute verspätete sich der Richter selbst, und die Parteien warteten still. Sartaj las im Afternoon einen Bericht über die Tibeter. Sie seien Mönche, hieß es da, und machten ihr Mandala für den Weltfrieden. Nach der Mittagspause erschien der Richter endlich, und Sartaj sagte aus und fuhr dann zum Revier zurück. Am Eingang wartete Birendra Prasad mit seinen Söhnen auf ihn.
    »Sie warten hier«, sagte Sartaj zu ihm. »Ihr beide kommt mit.«
    »Saab?« sagte Birendra Prasad.
    »Ruhe. Los.«
    Die Jungen folgten ihm, und Sartaj führte sie durch die vorderen Räume zu seinem Schreibtisch. Er war müde und lechzte nach einer Tasse Tee, aber erst mußte er sich mit den beiden Strolchen befassen. Es waren gutaussehende, kräftige Burschen, beide in hellen T-Shirts. »Welcher ist Kushal, und welcher ist Sanjeev?«
    Kushal war der Altere. Er nagte an seiner Unterlippe und wirkte starr und angespannt, aber nicht ängstlich. Noch vertraute er auf seinen Vater und auf sich selbst.
    »Du hast in diesem Leben viel Mithai gegessen, Kushal?«
    »Nein, Saab.«
    »Und davon bist du so ein Held geworden, so ein Muskelpaket?«
    »Saab -«
    Sartaj schlug ihm ins Gesicht. »Halt den Mund, du Drecksack, und hör mir zu.« Kushals Augen weiteten sich. »Ich weiß, daß ihr in eurer Gegend Mädchen belästigt. Ich weiß, daß ihr in den Gassen herumhängt und glaubt, ihr wärt die Rajas von allem, was ihr um euch herum seht. Aber ihr seid keine Bhais, ihr seid nicht mal Taporis, ihr seid Ungeziefer. Was schaust du so, Bhenchod? Komm her.« Sanjeev zuckte zusammen und kam herangetrottet. Sartaj stieß ihm die Faust in den Bauch, nicht mit aller Kraft, aber Sanjeev krümmte sich und drehte sich weg. Sartaj schlug ihm auf den Rücken.
    Es war ein altes Gewalt- und Einschüchterungsprogramm, das Sartaj mechanisch abspulte. Wäre Katekar dabeigewesen, hätten sie das Ritual in einem routinierten, fast an Schönheit grenzenden Zusammenspiel vollzogen. Aber Sartaj schwitzte, er war müde und beschleunigte deshalb den Ablauf. Er wollte die Sache hinter sich bringen. Die beiden waren Amateure, es bedurfte also keiner größeren Raffinesse oder Geschicklichkeit. Nach zehn Minuten konnten sie nur noch angstvoll keuchen und stammeln. Sanjeev hatte vorn an der Hose einen dunklen Fleck.
    »Wenn ich noch einmal etwas von euch höre, dann komme ich und hole euch, und dann gibt's richtig Dum. Und für euren Vater gleich mit. Habt ihr verstanden?«
    Kushal und Sanjeev schlotterten und wußten nichts mehr zu sagen.
    »Raus hier!« rief Sartaj. »Raus!«
    Nachdem sie gegangen waren, setzte er sich hin, lehnte sich zurück und zog sein Taschentuch hervor, das bereits feucht war. Angewidert wischte er sich damit den Hals und schloß die Augen.
    Sein Handy klingelte.
    »Sartaj-saab?«
    »Wer ist da?« fragte Sartaj, obwohl er das rauhe Knurren sofort erkannt hatte. Es war Parulkar-saabs hochrangiger

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