Der Pate von Bombay
Männern und Frauen, es versteckt sich in den Bäuchen der Kinder und entweicht mit jedem Atemzug, breitet sich aus und verpufft, man kann es nicht beseitigen, man kann es nicht festhalten, man kann es nur hinnehmen.
»Hast du diesen verdammten Maderchod kennengelernt?« fragte Paritosh Shah, jetzt wütend.
»Nein. Hör mal, ich bin nicht seinetwegen hier. Er interessiert mich nicht im geringsten. Dipika hat sich an mich gewandt.«
»Bring ihn um«, sagte er. »Bring ihn einfach um.«
»Kein Problem«, sagte ich. »Ich gebe gleich die Order. In einer halben Stunde ist er erledigt, man wird nie eine Spur von ihm finden, keinen Fingernagel. Aber was dann? Er wird tot sein, und sie wird ihn ihr restliches Leben lang lieben. Und dich ihr Leben lang hassen.«
»Sie ist jung. Das sind nur Flausen. Sie wird eine Woche heulen, und dann wird sie ihn vergessen.«
»Kennst du deine Tochter so schlecht?« Seine Wangen glänzten naß, seine Kiefer mahlten. »Sie hat mir gesagt, sie würde sich umbringen, und ich habe ihr geglaubt. Verstehst du? Ich habe ihr geglaubt. Du wirst sie tot auffinden.«
»Was also dann?«
»Erlaube ihr, ihn zu heiraten«, sagte ich. »Verheirate die beiden in aller Stille, und schick sie dann weg. Nach Madras, nach Kalkutta. Oder Amsterdam, wenn du willst.«
»Das wird nichts ändern«, sagte er. »Auch dann werden es alle erfahren. Wenn sie plötzlich verschwindet, einfach weg ist, werden die Leute Fragen stellen, Geschichten erfinden. Die Leute erfahren immer alles. So etwas kann man nicht ewig geheimhalten. Ich bin ein bekannter Mann.« Das war er allerdings. »Bhai«, sagte er. »Was machen wir nur, Bhai?«
»Du willst sie nicht mit diesem Jungen verheiraten?«
»Nein. Ich kann es nicht. Das weißt du.«
Da saßen wir nun. Er steckte in einer Zwickmühle, und ich konnte nichts tun. »Verheirate sie noch heute mit jemand anderem«, sagte ich, »jetzt sofort. Finde einen Jungen für sie, laß einen Pandit 473 kommen, und verheirate sie auf der Stelle. Und dann schick die beiden weg. Irgendwohin. Vielleicht bringt sie sich dann nicht um.«
Er atmete schwer. »Ja«, sagte er und griff nach dem Telefonhörer.
Ich verließ das Haus durch die Hintertür. Ich hatte Dipika verraten und konnte ihr nicht gegenübertreten. Sie wurde noch am selben Nachmittag verheiratet, mit einem Jungen, der aus Ahmedabad eingeflogen wurde. Am nächsten Morgen flogen Dipika und ihr Mann nach Ahmedabad zurück. Die Schwiegereltern berichteten Paritosh Shah später, nach ein paar schwermütigen Tagen habe sich Dipika offenbar eingelebt, sie habe angefangen zu lächeln, zu lachen. Paritosh Shah war überzeugt, daß die Realität der Ehe die alberne Illusion romantischer Liebe bereits ausgelöscht hatte. Die Eltern des Jungen erzählten ihm am Telefon, Dipika unterhalte sich viel mit den jüngeren Mädchen der Familie und sei zweimal mit ihrem Mann und dessen jüngeren Brüdern samt Ehefrauen im Kino gewesen. Und so schickte man Dipika und ihren Mann zwei Monate später auf Hochzeitsreise in die Schweiz. In der fünften Nacht der Reise verließ sie die Hotelsuite in Bern, während ihr Mann schlief. Sie ging aus dem Foyer hinaus durch das Tor auf die Straße. Sie wurde von einem Auto, das schnell um die Kurve kam, überfahren. Der Fahrer sagte später, sie sei genau in der Mitte der Straße gegangen, auf der durchbrochenen Linie, und er habe keinerlei Möglichkeit gehabt auszuweichen, er habe nicht einmal gewußt, was er da überfahren habe, bis er zum Stehen gekommen sei und zurückgesetzt habe. Dipika war sofort tot. Ihr Mann sagte, sie habe glücklich gewirkt, und ihr Intimleben sei freudenreich gewesen, wie bei jedem frisch verheirateten Paar. In der Schweiz ging die Sache als Unfall in die Akten ein.
Drei Monate nach Dipikas Tod kam Paritosh Shah zu mir, als ich gerade einen von Bipin Bhonsles amerikanischen Filmen anschaute. Ich war die ganze Nacht wach gewesen, so entsetzlich wach, daß ich das Knarren der arbeitenden Deckenbalken hörte und die auf dem Asphalt aufsetzenden Krallen eines draußen vorbeilaufenden Hundes. Ich sah zu, wie der rote Minutenzeiger mit sanfter Sensenbewegung seinen ewigen Kreis beschrieb, und spürte, wie er an etwas in meinem Kopf zerrte. Also schob ich eine von Bipin Bhonsles Videokassetten in den Recorder, schaltete den Fernseher an und drückte ein paar Tasten auf der Fernbedienung. Wo zuvor dunkles Geriesel gewesen war, erschien nun ein Löwe und riß sein Maul zu einem
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