Der Pate von Bombay
gelbzahnigen Gähnen auf. Ich schaute den Film an, und beim ersten Mal verstand ich nur sehr wenig. Aber ich spulte mehrmals zurück, und als der Tag anbrach, hatte ich die Geschichte schließlich verstanden - wer was wollte, was im Weg stand, wer umgebracht werden mußte. Die Geschichte war gut, aber für mich lag das Vergnügen in der Sprache. Ich spulte eine Szene mehrmals zurück, so daß der Held unter feinen weißen Linien rückwärts rannte, mit abgehackten, clownschnellen Bewegungen, sein Mund sich verzerrte und wutglitzernde Laute ausstieß. Ich spulte das Band zurück und ließ es laufen, spulte zurück und ließ es laufen, und die Silben fielen mir wie prasselnde Tropfen in die Ohren, bis ich plötzlich ihren Sinn erkannte. Er fragte: »Wo ist er hingegangen?« Er hatte die Pistole gezückt und fragte: »Wo ist er hingegangen?« Helle Freude erfüllte mich. »Da«, rief ich dem Helden auf Englisch zu. »Er ist dahin gegangen.«
Als der Film vorbei war, legte ich einen anderen ein und lernte weiter. Paritosh Shah kam um neun, setzte sich aufs Bett und schaute mit zu, wie ein anderer Held und seine Männer, bis zur Brust im Wasser, in einem Urwaldfluß vorwärts wateten, die Gesichter geschwärzt. »Das sind Spezialeinheiten«, sagte ich. »Die Geheimwaffe ihres Landes ist von einem Bösewicht gestohlen worden. Sie wollen sie sich aus seiner Dschungelbasis zurückholen.«
Paritosh Shah lächelte. »Eine Dschungelbasis? Das muß aber ganz schön teuer sein - der Unterhalt und die Versorgung. Wie wollen sie denn das ganze Öl, das Griesmehl und die Zwiebeln für die vielen Handlanger dorthin befördern?«
Ich schaltete das Video aus. »Du bist einfach durch und durch ein Bania«, sagte ich, »deshalb weißt du eine gute Geschichte nicht zu würdigen.«
»Ich verstehe diese ausländischen Filme einfach nicht.«
»Das merke ich. Zu Hause alles in Ordnung?«
Nach Dipikas Tod war seine Frau an Palpitation erkrankt. Sie war immer noch schwach und bekam gelegentliche Weinkrämpfe. »Wir kommen zurecht«, sagte er. »Und du? Hast du geschlafen?«
Er wußte, daß ich nachts wach lag, in den grauen Morgenstunden fernsah, bei längeren Autofahrten in unruhigen Schlaf fiel. Ich schüttelte den Kopf. »Ich nehme heute abend eine Tablette.«
Er machte eine ausladende Armbewegung, als putzte er eine Scheibe. »Darüber wollte ich mit dir reden.«
»Über Schlaftabletten? Hat dein Ved-Maharaj ein paar neue Rezepte?« Ich hatte die Pillen dieses Dhanvantari 166 probiert, hatte Verdauungsstörungen und Blähungen bekommen, aber nicht geschlafen, und war schließlich wieder zu dem allopathischen Arzt und dessen stärksten Medikamenten zurückgekehrt.
»Nein. Nicht darüber«, sagte er sehr ernst. »Hör zu, Bhai. Ich finde, du solltest heiraten.«
»Ich?«
»Schau dir doch an, wie du dastehst. Du bist nicht glücklich. Du kannst nicht schlafen. Du bist ruhelos. Ein Mann muß irgendwann zur Ruhe kommen. Du hast alles, jetzt mußt du ein Grihastha 244 werden, eine Familie gründen - alles hat seine Zeit.«
»Das Heiraten macht nicht jeden glücklich.«
»Du meinst Dipika. Bhai, sie war meine Tochter. Es war nicht die Heirat, die verkehrt war. Sie hatte alle Grenzen überschritten, wie hätte sie da noch glücklich werden können? Aber du mußt heiraten. In allen heiligen Schriften steht, daß das Leben verschiedene Stadien hat. Erst ist man Schüler, dann Hausvater. Aber du, du lebst, als hättest du der Welt schon entsagt. Sieh dich doch nur mal um.« Er meinte das Zimmer, die kahlen Wände, die weißen Laken, den auf dem Boden stehenden Teller mit angetrockneten Essensresten. »Chhota Badriya und die Jungs sind ja schön und gut, aber sie können nicht dein ganzes Leben ausmachen. Du brauchst eine Frau, sie wird dir ein Nest bauen.«
»Wer wird mich denn heiraten, Paritosh Shah? Welches anständige Mädchen?«
»Du machst dir zu viele Sorgen, Bhai«, sagte er. »Wir haben Geld. Alles ist möglich.«
Alles ist möglich. Ja, er und ich hatten Möglichkeiten geschaffen, wir hatten Träume aus der Luft gegriffen und mit einem Fingerschnipsen in Realität verwandelt. Alles war möglich. Und doch waren Kanta Bai und Dipika gestorben. Als ich Paritosh Shah ansah, mußte ich an das Lächeln Krishnas über seiner Schulter denken, an den blauen Zauberer, der mich mit seinen schläfrigen Augen betrachtet hatte. Auch er hatte eine Familie gehabt, viele Familien. Jetzt versuchte er, mich in eine hineinzumanövrieren. Die
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