Der Pate von Bombay
uns.
In Gopalmath saß ich auf dem Dach und ging meinen täglichen Geschäften nach. Unten im Hof und auf der Straße sammelten sich die üblichen Grüppchen von Bittstellern. Man brachte mir Geld, und ich verteilte welches. Ich übte Gerechtigkeit. Ich regierte. Die Sonne zerfloß, zögerte und starb ihren täglichen Tod. Ich aß und zog mich in mein Schlafzimmer zurück. Es war ein ruhiger, ganz normaler Tag.
Bipin Bhonsle gewann mit sechstausenddreihundertunddreiundvierzig Stimmen Vorsprung.
Ich hatte einen Horror vor der Hochzeit. Ich mußte natürlich hingehen, aber ich wußte nicht, wie ich Dipika gegenübertreten, ihr mein Gesicht zeigen sollte, ohne die magische Formel gefunden zu haben, die ihr immerwährendes Glück garantierte. Mich ärgerte dieses Gefühl der Hilflosigkeit, diese Lähmung meines Willens. Das Problem ließ mich nicht los, nagte mit tausend winzigen Zähnen an den Rändern meines Bewußtseins, wie ein Heer erbarmunsgloser Ameisen. Ich war wütend auf Dipika. Wer war sie schon? Was bedeutete sie mir, daß ich ihr das schuldig war? Da trat dieses kleine Nichts von einem Mädchen zwischen mich und meinen Freund und verfolgte mich mit seinen riesigen stierenden Augen, dabei war sie nicht einmal hübsch - warum konnte ich ihr nicht einfach sagen, daß sie ihren dreckigen Mashuq 402 nehmen und zur Hölle gehen sollte? Warum? Ich konnte es nicht. Sie hatte mich gebeten, und ich hatte ihr ein Versprechen gegeben. Es entbehrte jeder Logik, aber es war die Wahrheit, es war geschehen. Ich mußte also handeln. Bloß hatte ich immer noch keine Ahnung, wie.
Am Tag der Hochzeit nahm ich meine Geschenke - goldene Armreife, goldene Ohrringe und eine goldene Halskette - und ging zu Paritosh Shah. Ich hatte meine Schuhe kaum ausgezogen, da kam Dipika zur Tür gerannt, wäre fast gefallen, hätte sie sich nicht am Türpfosten festgeklammert. Schwankend stand sie da in ihrem goldenen Sari, und ich spürte, daß meine Jungs den Blick abwandten. Ich wußte, daß sie dachten: »Was treibt Bhai denn da?« Mehr war nicht nötig, um eine Geschichte in die Welt zu setzen, die, während sie in der Stadt kursierte, immer länger und detailreicher werden würde. »Beti 069 «, sagte ich und tätschelte ihr väterlich den Kopf. Dann nahm ich sie bei der Schulter und führte sie hinein. Während ihre Tanten und Cousinen, prachtvoll und wunderschön in ihrem Feststaat, im Korridor an uns vorübereilten, beugte ich mich zu ihr und tat so, als gäbe ich ihr etwas aus meiner Brieftasche. »Sei ruhig, du Dummkopf«, sagte ich. »Wenn du verrückt spielst, kann ich nichts für dich tun. Benimm dich. Wenn ich dir etwas sagen will, werde ich es dir sagen.«
»Aber«, sagte sie. »Aber ...«
»Still jetzt«, sagte ich. »Wenn du diese Sache durchziehen willst, mußt du tapfer sein. Lerne, dich zu beherrschen. Laß die Angst hinter dir. Schau mich an. Lerne von mir. Du hast mir gesagt, du wärst kein Kind mehr, aber du verhältst dich wie eins. Kannst du eine Frau sein?«
Sie blinzelte ihre Tränen weg und wischte sich mit einem Zipfel ihres Pallus die Nase ab. Dann nickte sie.
»Geh und hab am Glück deiner Schwester teil. Sei fröhlich, sonst merken die Leute etwas.« Sie war nach wie vor wackelig auf den Beinen. »Ich bin Ganesh Gaitonde, und ich sage dir, daß alles gut werden wird. Ganesh Gaitonde sagt dir das. Glaubst du ihm?«
»Ja«, sagte sie, und während sie es sagte, begann sie es zu glauben. »Ja.«
»Jetzt geh.«
Sie sprang davon, nahm im Hof zwei kleine Mädchen bei der Hand und wirbelte mit ihnen herum, und in dem schallenden Gelächter ertönte ihr Glück, so greifbar wie der Duft der Unmengen von Blumen, die in den Türen und an den Wänden hingen. Sie war glücklich. Das hatte ich ihr geschenkt, obwohl ich es nicht zu verschenken hatte. Ich hatte keine Ahnung, wo und wie ich es finden könnte. Und so saß ich im Mandap 397 neben Paritosh Shah, während die Priester sangen, dichter Rauch vom Opferfeuer emporquoll und das Glück der älteren Schwester beschworen wurde - dem Leben der jüngeren sah ich mich hilflos gegenüber. Ja, Dipika war jetzt glücklich, wie sie da hinter ihrer Schwester saß, an die Schulter ihrer Mutter gelehnt, das Gesicht gerötet und von der Hitze des Feuers schweißbenetzt, die Augen feucht glänzend von dem beißenden Rauch. Während ich sie betrachtete, rätselte ich: Warum bloß sind die Frauen so sehr Gefangene? Warum ist der eine Mann ein Dalit und arm und der andere
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