Der Pate von Bombay
er sich am Tor umdrehte und noch einmal winkte, glitzerte seine Halskette grell in der Sonne. Er war ein rundum glanzvoller Mann.
Wir fuhren in rasantem Tempo zu Paritosh Shah. Ich wäre lieber langsam gefahren, denn ich hatte immer noch keinen Plan, keine Überzeugungsstrategie entwickelt. Aber das konnte ich Chhota Badriya schlecht sagen - fahr langsam, fahr gar nicht, fahr nie mehr, denn ich bin hilflos. Schließlich war ich Ganesh Gaitonde. Ich hatte den Part übernommen, jetzt mußte ich ihn auch spielen. Also stieg ich heldenhaft aus, ging zu Paritosh Shahs Haustür, die mit ihren Blumen und Ranken noch immer Glück verhieß, und trat ein. Als ich schließlich barfuß im Hof stand, war es mit meinem Selbstbewußtsein und Stil vorbei. Ich betrat Paritosh Shahs Büro geradezu demütig. Er war am Telefon, eines seiner endlosen Geschäfte, er leitete Geld von hier nach da, kreuzte die Währungen miteinander und hielt dabei sorgsam und unauffällig eine Hand in den Strom. Das Geld sprang ihm zu, und er erfreute sich an seinen Mätzchen. Er legte die Hand über die Sprechmuschel, doch ich bedeutete ihm, weiterzutelefonieren, setzte mich und schaute ihm zu. Hinter ihm hing vor einer goldenen Wand ein goldgerahmtes Bild von Krishna mit seiner Flöte. Die Tischplatte von Paritosh Shahs Schreibtisch war ebenfalls golden, und es standen fünf Telefone darauf. Ich betrachtete Krishna, seine tänzerische Haltung und sein angedeutetes Lächeln, und ich haßte ihn. Du bist arrogant, Gott. Ich setzte mich woandershin, aber Krishnas Augen folgten mir. Ich konnte ihm nicht entrinnen.
Paritosh Shah legte auf, vom Kick des Geldes belebt. »Namaskar, mein Freund.« Er rieb sich die Hände, wippte auf seinem Stuhl nach hinten und war zufrieden mit der Welt. Und Krishna lächelte mich über seine Schulter hinweg an.
Jetzt erinnerte sich Paritosh Shah an unsere Unterhaltung vom Vorabend. »Also, Bhai, was ist los? Was kann ich für dich tun?«
In diesem Moment begriff ich, weswegen Krishna lächelte. Mir wurden die Grenzen meiner Macht bewußt. Und ich erzählte Paritosh Shah alles, was ich über Dipika und ihren Geliebten in Erfahrung gebracht hatte, daß er Prashant Haralkar hieß, daß sein Vater beim Amt für Stadtreinigung gearbeitet hatte, daß seine Mutter vor zwanzig Jahren ihre Kinder genommen und den Vater, einen Alkoholiker, verlassen hatte. Auch, daß Prashant Haralkar ein fleißiger Schüler gewesen war, im Licht der Straßenlampen gelernt und die Abendschule besucht hatte, daß er jetzt eine feste Stelle bei BMC hatte, in einem kleinen, aber ganz passablen Haus in Chembur lebte und seine Mutter und jüngeren Schwestern finanziell unterstützte.
Paritosh Shah bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Ich ging um den Schreibtisch herum und setzte mich auf die Couch neben ihm. Ich legte ihm die Hand aufs Knie, tätschelte es unbeholfen. Er zuckte vor der Berührung zurück. »Wer wird denn dann noch meine Kinder heiraten?« schluchzte er durch seine Finger.
Ich wußte keine Antwort. Ich hatte Dipika das Glück versprochen, aber was war mit Paritosh Shahs anderen beiden Töchtern und seinen zwei Söhnen, was sollten sie tun? Ich konnte Wahlen gewinnen, ich konnte Männer auf der steilen Leiter des Erfolgs nach oben befördern und sie im nächsten Moment töten, ich konnte Häuser niederbrennen, mir Land aneignen, mit einem willkürlich angesetzten Streik die halbe Stadt lahmlegen, wenn es mir beliebte. Aber wer würde der Reihe sanftmütiger Matronen entgegentreten, die bei der Hochzeit von Paritosh Shahs Tochter so sittsam dagesessen hatten, mit bedecktem Kopf? Wer würde ihre korpulenten Gatten der Aufklärung näherbringen? Paritosh Shahs Sippschaft würde bei Einladungen anderweitige Verpflichtungen vorschützen, man würde vergessen, ihn zu Familienfeiern einzuladen, und die Söhne und Töchter würden woanders verlobt und verheiratet werden, mochte er auch noch so viel Geld haben und mir noch so nahestehen. Und er würde jedesmal, wenn er einen Bekannten traf, jedesmal, wenn er auf die Straße ging, Scham empfinden. Während ich neben Paritosh Shah saß, durch seine Tränen erniedrigt und außerstande, ihn anzusehen, begriff ich, wie verzwickt die Situation war. Ich hätte all seine Verwandten verprügelt, mit meinen Schuhen auf sie eingeschlagen, diesen Wohlig-Selbstgefälligen den Schädel aufgebrochen, um moderne Luft hereinzulassen - wenn es denn irgendwas genützt hätte. Aber das Brauchtum wabert zwischen
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