Der Pate von Bombay
nahm das Foto vom Tisch, auf den ich es hatte fallen lassen. »Jetzt, Bhai?«
»Nein, nicht so.« Er dachte, ich wolle eine kleine Mitternachtsnummer, doch das Mädchen sah anständig aus, und das verwirrte ihn. Ich klopfte ihm sanft auf die Schulter. »Nicht das, Vella 659 . Paritosh-bhai wollte es. Und der Dandi-Swami. Ich will sie heiraten.«
Sie hieß Subhadra Devalekar, und ich heiratete sie vier Tage später. Zuerst fand ihr Vater es herzlos, daß ich so bald nach dem Tod meines Freundes heiraten wollte. Ich wußte, daß auch die meisten meiner Jungs das fanden. Doch ich erklärte, es sei der letzte Wunsch meines Freundes gewesen, und dann erinnerten sie sich alle wieder an seine Predigten, an die immer wieder verlangte engere Auswahl, an sein Drängen. Ein Gerücht tauchte aus dem Nichts auf und verfestigte sich zur Gewißheit, nämlich daß er mich tatsächlich noch vom Mercedes aus angerufen hatte, während die Hammerschläge sein Leben zertrümmerten, und es geschafft hatte, mir zu sagen: »Du mußt heiraten.« Als wir dann schließlich um das Feuer schritten, Subhadra und ich, war unsere Heirat zur Erfüllung des letzten Wunsches eines verstorbenen Freundes geworden. Die Jungs kamen zu Dutzenden und Aberdutzenden aus der ganzen Stadt und wohnten unserer kargen Zeremonie mit feuchten Augen, gezückten Pistolen und grimmiger Loyalität bei.
Nach der Trauung saßen wir vor dem Haus, und die Menschen aus Gopalmath kamen, um mir ihre Aufwartung zu machen. Subhadras Vater nahm Umschläge entgegen. Er war ehemaliger Busschaffner der Linie 523, jetzt aber im Ruhestand, und hatte vier Töchter. Zuerst hatte er gezögert, als Chhota Badriya zu ihm gekommen war, immerhin waren in den Nachmittagszeitungen immer noch Fotos des »Todes-Mercedes« abgedruckt, aber ein Stapel gebündelter Fünf-hundert-Rupien-Scheine auf seinem Teetablett hatte ihn überzeugt. Töchter sind eine Verantwortung. Jetzt stand der Busschaffner zu meiner Rechten und nahm die Geschenkumschläge der Schlange stehenden Gratulanten in Empfang. Bada Badriya trat mit einem dicken roten Umschlag vor. Er war eiligst aus seinem Dorf gekommen, sobald wir ihn kontaktiert hatten, und schämte sich immer noch, daß er seinen Boß allein gelassen hatte, das merkte ich. Aber er war seit fünf Jahren nicht mehr in seinem Dorf gewesen und trug keine Schuld an dem, was geschehen war. Ich sagte ihm das und umarmte ihn.
Und dann saß ich auf einem von Rosenblüten übersäten Bett. Irgendwo erklang ein Lied, und eine Flöte wob ihre Melodie hinein. Auf einer Ecke des Betts umhüllte gleich einem kleinen roten Zelt ein Sari einen zitternden, schmächtigen Körper. Meine Frau. Ich war verheiratet. Ich fühlte mich leicht benommen, als wäre ich gerade aus einem langen Traum erwacht. Ich fragte: Wie ist das geschehen? Es kam keine Antwort.
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Alter Schmerz
M ary Mascarenas war bereit zu reden. Sartaj wartete auf sie, allein, gegenüber dem Pali-Hill-Salon, wo sie arbeitete. Auf der abschüssigen Straße herrschte ein Kommen und Gehen teuer gekleideter Teenager, Jungen rasten in schnittigen Autos vorbei, die ihnen ihre reichen Väter gekauft hatten, Mädchen wirbelten in Dreier- und Vierergrüppchen vorüber. Sartaj stand neben einer Zigarettenbude, an der Dienstboten und Chauffeure rauchend ihren Abendplausch hielten. Er hatte Mary am Morgen angerufen und ihr freundlich gesagt, daß er sie sprechen wolle. Nach der Arbeit, hatte sie erwidert, und es hatte nicht mehr zornig geklungen, nur noch resigniert. Sartaj war zuversichtlich, daß er diesmal mehr von ihr erfahren würde. Sie würde selbst wissen wollen, was passiert war und warum. Er war etwas zu früh dran. Die Chauffeure unterhielten sich über Aktienkurse und Gewinnaussichten der Konzerne. Chauffeure wußten mehr als irgend jemand sonst, sie hörten die Gespräche der Saabs und Memsahibs im Auto mit, sie kannten deren Wege, sie brachten Dokumente und Bargeld hierhin und dorthin. Sartaj beobachtete die flirtenden Jungen und Mädchen und versuchte dem Börsengespräch zu folgen, um Katekar davon berichten zu können. Katekar spekulierte nicht, aber er beharrte darauf, daß der Kapitalmarkt logischen Prinzipien unterliege, man müsse nur die Regeln kennen, dann könne man ganz groß herauskommen. Alles, was man brauche, seien Information und Bildung. Sartaj hörte also zu, doch die Chauffeure wußten mehr als er, und er vermochte ihrer lebhaften Diskussion nicht zu folgen. Wenn eine ihrer Memsahibs
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