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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Minuten nach der Polizei ein, und wenigstens die versuchte nicht, mich von irgend etwas abzuhalten. Heckscheibe und Rückfenster waren von unzähligen Sprüngen getrübt und auf der Innenseite von einer dunklen, gallertartigen Masse verschmiert. Die linke Vordertür stand offen. Der Fahrer hatte überlebt und war über den toten Leibwächter geklettert, als das Krachen der Schüsse aufgehört hatte. Ich beugte mich ins Auto, stützte eine Hand auf das seidige Leder der Kopfstütze und schaute in den Fußraum vor der Rückbank. Kein Paritosh Shah war zu sehen. Ich sah einen Klumpen in sich zusammengefallenen Fleisches, durchlöchert, durchbohrt, zerrissen. Kein Gesicht. Unter einer breiten Stirn ein geborstenes Gefäß mit einer rohen Masse voll scharfer weißer Knochensplitter. Kein Paritosh Shah. Er hätte niemals in diesen schmalen Graben zwischen den Sitzen gepaßt, nicht Paritosh Shah, mein fetter Freund. Aber dort war eine Hand mit Ringen, mit glänzenden, beschützenden Steinen. Und hier ein Fuß, noch in dem neuen, mit Troddeln besetzten burgunderroten Slipper. Er hatte mir dieses Wort eingeschärft, mit nachsichtiger Geduld: »Nicht einfach rot, Bhai, das ist burgunderrot. Bur-gun-der-rot.« Und hier war ein frisierter Haarschopf. Aber wo war Paritosh Shah?

    Ich ging zu ihm nach Hause, wo die Frauen nichts zu mir sagten. Und doch spürte ich ihren Haß. Er war meinetwegen gestorben. Er war für mich gestorben. Ich hatte ihn umgebracht. Niemand wagte es auszusprechen, doch es mußte nicht ausgesprochen werden. Als seine Leiche im Hof aufgebahrt war, von Kopf bis Fuß in weiße Tücher gehüllt, und seine Töchter wehklagten, sagte es keiner. In der Hitze des brennenden Scheiterhaufens sagte es keiner. Ich kehrte nach Gopalmath zurück, ohne es jemanden sagen zu hören, doch es schwang in jedem meiner Atemzüge mit, im Pochen meines Pulses. Ich trank Whisky. Ich sagte meinen Jungs, sie sollten mir irgendwas bringen, egal was, solange ich es nur gleich hier hätte, jetzt sofort. Sofort. Meine Kehle brannte vom Whisky, und ich sah mich sterben. Ich wurde erstochen, niedergesäbelt, erschossen, erhängt. Mein Körper erlosch. Und erlosch abermals. Schüsse zerteilten meine Ellbogen, halbierten meinen Rumpf. Ich begrüßte jedes Erlöschen. Wo war der Tod? Dieses Leben war ein eiserner Reif um meinen Kopf. Paritosh Shahs üppiges Fleisch, völlig ausgeblutet. Wie das Leben doch endet. Wie es versickert. Macht dieses Versiegen ein Geräusch? Oder war nur das Krachen der Schüsse zu hören? Ich hob die Hand, hielt sie dicht vor meine Augen, preßte das Gesicht in die federnden Härchen auf dem Unterarm, spürte das Leben darin. Jeder Follikel war lebendig. Mit einer Drehung meines anderen Handgelenks zerschmetterte ich das Whiskyglas am Bettpfosten. Dann schnitt ich mit einer halbmondförmigen Scherbe in den Muskelstrang unterhalb meiner Faust. Schnitt durch die dichte Behaarung hindurch, und das Blut sickerte lautlos. Ich drehte den Arm um und sah am Handgelenk meinen rhythmisch klopfenden Puls. Leicht, ihn zu stoppen, ihn zu durchtrennen. So leicht.
    Und dann war ich von mir selbst angewidert. Paritosh Shah hatte gelebt. Er hatte mit jeder Faser gelebt, hatte seine Frauen, seine Kinder, seine Hunderte von Angestellten ernährt. Er hatte alles gegeben, und selbst im Sterben hatte er gekämpft, um noch zu telefonieren, noch etwas zu sagen. Er hatte versucht, mich anzurufen. Das wußte ich. Nicht seine Frau, nicht seine Kinder, sondern mich. Was hätte er wohl gesagt aus der durch Funkwellen so wundersam überbrückten Distanz? Der Tod hatte ihn schon in den Klauen, ich hätte ihn nicht retten können. Das muß er gewußt haben. Was hätte er gesagt an seinem Ende? Zu mir, seinem Freund? Ich schaute in die gebogene, mit meinem Blut besprenkelte Glasscherbe und wußte es. Ich kroch zum anderen Ende des Betts, fand den Stapel Fotografien. Ohne hinzuschauen, nur nach Gefühl, zog ich eines aus der Mitte heraus. Und dann rief ich die Jungs herbei.
    »Diese hier will ich«, sagte ich zu Chhota Badriya, der mit einem halben Dutzend anderer zusammensaß und seine Pistole reinigte. Sie waren alle verblüfft. Sie hatten einen Kriegsrat erwartet. Jedesmal wenn wir in diesem Kampf jemanden verloren hatten, waren wir nach der Bestattung zusammengekommen, um unsere Ziele für den nächsten Tag, die nächste Woche zu bestimmen. Wen wir töten würden und wie, darüber redeten wir. Doch jetzt wollte ich eine Frau.
    Chhota Badriya

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