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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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aufgestylt aus dem Salon kam, rückte die kleine Schar zusammen, ohne das Gespräch zu unterbrechen. Sie rauchten Zigaretten und aßen aus kleinen Päckchen geröstete Nüsse und Bohnen. Sie waren gut bezahlt, diese Chauffeure, und gut angezogen, dem Status ihrer Arbeitgeber entsprechend.
    Es war kurz nach sieben, als Mary aus der blauen Glastür des Salons trat. Sie trug ein schwarzes T-Shirt, einen knielangen, engen schwarzen Rock und flache schwarze Schuhe. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden, und Sartaj staunte, wie elegant sie war. Sie wirkte vollkommen ruhig, und wenn man sie neben die Teenager-Prinzeßchen gestellt hätte, die an ihr vorbeistolzierten, wäre sie nicht aufgefallen. Es sei denn, man hätte auf ihre gerade Haltung geachtet, ihre ebenmäßigen Schultern und ihre Hände, die auf einer schwarzen Handtasche ruhten. Als sie Sartaj sah, winkte sie ihm zu.
    Er ging über die Straße, auf die Seite der glitzernden Nobelläden: Gurlz, Expressions, Emotions. »Tut mir leid, daß es so spät geworden ist«, sagte sie. »Im Taj 612 ist heute abend eine große Party, da hatte ich noch drei Extratermine.«
    »Klar, für eine Party im Taj braucht man ja auch besonders schicke Frisuren.«
    »Ich weiß nicht, ich war nie dort. Aber die Frisuren kann ich machen.«
    Sie sprach Hindi mit Akzent, fließend und verständlich, aber improvisiert, ein Hindi, das die Klippen der Grammatik vertrauensvoll umschiffte. Sartaj war überzeugt, daß ihr Englisch besser war, aber sein eigenes war eingerostet. Sie würden sich mit einer bunten Mixtur, einem Bombay-Mischmasch, behelfen. »Mein Wagen steht da drüben«, sagte er. Am Telefon hatte sie ihn gebeten, nicht an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen, und er hatte ihr versichert, daß er weder in Uniform noch im Polizei-Jeep und außerdem allein kommen werde. Unter den Augen der Chauffeure fuhr er rückwärts auf die Straße hinaus und ließ Mary dann einsteigen. »Wir fahren in die Carter Road«, sagte er, und sie nickte. Sie würde auch nicht wollen, daß ihre Nachbarn sich über Polizisten oder seltsame Sikhs in ihrer Begleitung wunderten.
    Weit hinten an der Kaimauer fand er in einer Biegung einen Kiesstreifen, auf dem nicht allzu viele Straßenhändler, flanierende Liebespaare und Bettler unterwegs waren. »Das Schiff ist inzwischen völlig verschwunden«, sagte er. »Kein Fitzelchen mehr davon übrig. Wie hieß es noch mal?«
    Ein ausländischer Frachter war in einem Monsunsturm mit Maschinenschaden auf Grund gelaufen, und der weit aus dem Wasser ragende Rumpf war zu einer Art Touristenattraktion geworden. Sartaj hatte einmal spätnachts gegenüber dem Schiff auf einer Bank gesessen und Megha geküßt. Nicht lange danach hatten sie sich getrennt.
    »Das war die Zhen Don«, sagte Mary. »Die ist verschrottet worden, Vorjahren schon.«
    »Ich dachte, man wollte ein schwimmendes Hotel daraus machen.«
    »Als Schrott war sie mehr wert.« Der Himmel war seit zwei Tagen von einem verwaschenen Grau, und darunter zogen Schiffe schemenhaft über den Horizont. Mary wandte sich Sartaj zu. »In der Zeitung stand, daß eine Polizistin dabeisein muß, wenn eine Frau verhört wird.«
    »Das ist kein Verhör. Sie sind keine Verdächtige. Es gibt keine Verdächtigen. Ich versuche nur zu verstehen, was passiert ist und warum Ihre Schwester in dem Haus war. Und ich dachte, Sie würden nicht vor so vielen Leuten reden wollen. Das hier ist so etwas wie ein Privatgespräch. Was Sie mir sagen, behalte ich für mich.«
    »Ich habe Ihnen nichts zu sagen.«
    »Sie haben nichts über Ihre Schwester zu sagen?«
    »Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen. Ich ... ich hatte Jahre nicht mehr mit ihr gesprochen.«
    »Warum? Hatten Sie Streit?«
    »Ja.«
    »Worüber?«
    »Wieso müssen Sie das wissen?«
    »Es könnte mir Aufschluß darüber geben, was für eine Frau sie war.«
    »Und dann wissen Sie, wie sie in dieses Haus gekommen ist?«
    »Vielleicht.«
    »Sie war kein schlechter Mensch.«
    Mary war angespannt und rückte auf dem schmutzigen blauen Sitz so weit von Sartaj ab wie nur irgend möglich. Ihre kleine schwarze Tasche lag zwischen ihnen, und ihm wurde klar, daß sie Angst vor ihm hatte, Angst, weil sie hier an der Ufermauer parkten, Angst vor dem, was er womöglich von ihr verlangen würde. Deshalb hatte sie nach der Polizistin gefragt. Daß die Leute vor seiner Uniform Angst hatten, war er gewohnt, doch der Gedanke, diese Frau könnte glauben, er wolle sie vergewaltigen, war ihm

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