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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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ich seinen Scheiterhaufen an. Unter dem Holz und den züngelnden Flammen sah die Leiche in dem weißen Leichentuch winzig aus. Ravi Rathore war sehr mager gewesen, und sein Lieblingsgürtel mit der schweren Silberschnalle hatte fast zweimal um seine Taille gereicht. Wenn die Jungs sonntags auf dem ansteigenden Spielfeld in der Nähe des Hügels Kricket spielten, hatte Ravi Rathore bei den Spurts zwischen den Wickets immer heftig gekeucht. Jetzt war er tot. Wir verbrannten ihn und gingen nach Hause. Ich setzte mich auf meinen Stuhl auf der Terrasse und sah zu, wie es wieder Nacht wurde. Dieses Tal, in dem wir leben, ist ein Tal von Licht und Schatten. Wir flackern darin auf und verlöschen wieder. Wie schnell hatte Ravi Rathore seinen Platz darin aufgegeben. Ich lehnte Tee und Abendessen ab, erinnerte mich an einen Monsun vor vielen Jahren, als Ravi Rathore mit seinen aus Shorts ragenden dünnen Beinen in einer überschwemmten Ecke zwischen zwei gewundenen Gassen herumplantschte. So kannte ich ihn, so und mit seinem Gürtel und seiner keuchenden Begeisterung fürs Kricket.
    »Woran denken Sie, Bhai?« fragte Chhota Badriya. Er saß am anderen Ende der Terrasse auf dem Boden.
    »Bachcha, was ist in dem Boot?«
    »Was?«
    »Ich denke an den Dandi-Swami.«
    Chhota Badriya senkte den Kopf, rieb sich die Fußknöchel. Er versuchte zu erkennen, in was für einer Laune ich war, ob er eine weitere Frage riskieren konnte. Er stand auf, pulte am Dach herum, hob mit dem Fingernagel etwas abgeblätterten Putz an.
    »Laß mein Haus ganz«, sagte ich. »Weißt du, was wir tun werden? Wir werden ein Schiff versenken.«

    Kishorilal Ganpat war ein großer Shiva-Verehrer. Er dankte Bolenath 094 jeden Morgen für all die Millionen, die er erschwindelt, und all die Schmiergelder, die er gezahlt hatte, für mit Sand versetzten Zement und minderwertige elektrische Leitungen, die aus roh verputzten Hauswänden quollen, für amtlich nicht zugelassene Gebäude, zusätzliche Stockwerke, die weit über die zugelassene Geschoßflächenzahl emporragten, für betuchte Mittelschichtler, die unbedingt ein Eigenheim wollten, für hungernde Arbeiter, für schwertschwingende harte Jungs, für Suleiman Isa. Kishorilal Ganpat ließ in diesen schweren Zeiten die angemessene Vorsicht walten, er hatte zwei sehnige Leibwächter, die so muskulös waren, daß sie mit gespreizten Beinen gingen, als hätte ihnen jemand Gummibänder um die Eier gespannt. Kishorilal Ganpat legte Wert auf ein tadelloses Erscheinungsbild, deshalb trug der Fahrer seines Mercedes einen weißen Anzug mit weißer Mütze, und die beiden Leibwächter hatten graue Safari-Anzüge an. Außerdem hortete Kishorilal Ganpat Zeit. Er sammelte Abkürzungen, die ihm im nervtötenden Dauerstau der Stadt zwei oder drei Minuten einsparten, er hielt seinen Angestellten Vorträge über die japanische Pünktlichkeit, er besuchte den Shiva-Tempel in der Satyagrahi Jamunanath Lane jeden Dienstagmorgen exakt um halb neun, »punkt-punkt halb neun«, wie er jedem, der es hören wollte, gern erklärte. Das alles machte die Sache für uns zum Kinderspiel. Wir hielten uns bereit. Sechs Jungs, sechs Star-Pistolen. Wir wußten, wo Shiva auf seinem Podest saß, wir kannten die Treppe, die zu der von Häusern und fliegenden Händlern gesäumten Gasse hinunterführte, wir wußten, wo der Mercedes auf seinen Herrn warten würde, wir wußten, wo die Leibwächter postiert sein würden. Und es flutschte nur so, wie ein geölter Lauda in einer feuchten Chut. Kishorilal Ganpat kam die Treppe herunter, eine große Silberschale mit Prasad in die Höhe haltend. Er hatte seine Schuhe mit den Spitzen nach vorn an den Fuß der Treppe gestellt, so daß er sehr effizient hineinschlüpfen konnte und gute drei Sekunden sparte. Die Leibwächter standen noch gebückt und zogen sich mit dem Rücken zu ihrem Boß die Sandalen an, während Kishorilal Ganpat schon mit Storchenschritt über eine Pfütze stieg, da stellte sich mein Bunty ihm von der Seite in den Weg. Kishorilal Ganpat schaute ihn an, und Bunty hob den rechten Arm und schoß Kishorilal Ganpat das linke Auge aus. Der eine Leibwächter griff unter sein Hemd und wurde umgeblasen. Der andere setzte sich auf die Treppe des Tempels und nahm die Hände nicht mehr vom Stein, umklammerte die Stufe mit weißgedrückten Fingernägeln. Unterdessen taumelte Kishorilal Ganpat die Gasse entlang, von Tür zu Tür, auf der Suche nach einem Ausweg, egal, was für einem. Bunty ging ihm nach

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