Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
getroffen, vielleicht in irgendeiner Kneipe, einer nach Bauernschnaps stinkenden Dhaba, und dann seinen Vorgesetzten in Jammu Bericht erstattet. Dort hatte Gaurav Sharma einen Bericht für die zuständige Stelle in Delhi geschrieben. Das war Grundlage für weitere Berichte nach oben gewesen, und vielleicht war schließlich ein leitender Beamter darauf aufmerksam gemacht worden, daß alle Daten auf Pläne des Feindes zu einer Frühjahrsoffensive hindeuteten. Vielleicht hatte der Premierminister Mittel freigegeben und einen zusätzlichen Titel im Haushalt beantragt. Auf jeder Stufe war die Information weiter konzentriert worden. Einzelheiten waren unter den Tisch gefallen, und hier, am Empfangspunkt in Delhi, gab es nur noch Namen und Orte, Lastwagen und Kisten, Rehmat und Yasin. Details wollte ganz oben niemand wissen. Zu Ihren Aufgaben, hatte K. D. Yadav gesagt, gehört es auch, dafür zu sorgen, daß die Leute an der Spitze nicht zuviel erfahren. Das wäre nicht gut. Sie müssen handlungsfähig bleiben und dürfen sich nicht verzetteln, um notfalls alles dementieren zu können. Lassen Sie also alles Überflüssige weg. Sagen Sie ihnen nur, was sie unbedingt wissen müssen. Bas.
    Anjali legte den Bericht beiseite und wandte sich ihren täglichen Pflichten zu. Innerhalb der Organisation, im Kollegenkreis in Delhi, hatte man ihre Fahrt nach Bombay mit Kopfschütteln betrachtet. Dieser Gaitonde hatte sich, nachdem er zahllose andere abgeknallt hatte, selbst abgeknallt - na und? Solche Gangster waren von Haus aus labil, und bei Gaitonde waren immer wieder Alkohol, Frauen und vieles andere im Spiel gewesen. Das war bekannt. Er hatte sich in Bombay einen Bunker gebaut - na und? Der Mann war tot, er hatte sich umgebracht, das war das einzige Faktum von Gewicht. Wozu also ermitteln? Was für weitere Fakten hatte man gefunden? Keine. Auf Frauen im Außendienst war eben kein Verlaß. Und genau deswegen hatte man Kulkarni mit dem Fall Gaitonde betraut. Er hatte sein Handwerk in Punjab gelernt und Einsätze in Kaschmir geleitet. Man hatte ihn für robust genug und hinreichend in Maharashtra verwurzelt befunden, um es mit einem unflätigen Gangster aufzunehmen, und er hatte Anjali - in einem Anflug von Herablassung - den Gefallen getan, ihr Einsicht in seine Berichte zu gewähren. »Ich weiß, Sie interessieren sich für den Mann«, hatte er zu ihr gesagt und sie breit angelächelt. »Und eine gute Analytikerin kann man immer gebrauchen.« Und so hatte sie Gaitondes Geschichte zurückverfolgt, hatte sich darüber informiert, wie die Organisation ihn und wie er die Organisation benutzt hatte, wie er Mordanschlägen entgangen und einem wachsenden Verfolgungswahn verfallen war, wie er seinen Verbindungsmann belogen hatte, wie er sich zunehmend labil gezeigt hatte und schließlich verschwunden war. Und nachdem er als toter Mann wieder in seinem alten Revier aufgetaucht war, hatte ihr der lächelnde Kulkarni freundlicherweise gestattet, dort Ermittlungen durchzuführen.
    Da sie nichts Brauchbares gefunden hatte, saß sie nun wieder an ihrer Analyse. Ihre Abteilung befaßte sich mit islamischem Fundamentalismus, und ihr Zuständigkeitsbereich war die ganze Welt. Im Moment folgte sie den Spuren eines Engländers, der 1971 unter dem Namen Malcolm Mourad Bruce als Sohn eines schottischen Schreiners und eines algerischen Zimmermädchens in Edinburgh zur Welt gekommen war. Der Vater hatte Frau und Kind verlassen, als Malcolm sieben war, er war gegangen, ohne sich noch einmal umzudrehen, und die Mutter war zu ihrem Bruder und seiner Familie nach Birmingham gezogen. Mit Siebzehn war aus Malcolm Mourad Chaker geworden, ein leidenschaftlicher Verfechter des einfachen Lebens und als »der junge Prediger mit den roten Haaren« eine Lokalberühmtheit in den Moscheen. Mit Zweiundzwanzig war er in Afghanistan aufgetaucht, wo er gegen die Sowjets gekämpft hatte und siebenmal verwundet worden war. Vier Jahre später hatte der rothaarige Mourad Berichten zufolge für die GIA 230 in Algerien gekämpft und dort Journalisten, Bürokraten, Offiziere und Zivilisten getötet. Er erwarb sich einen Ruf als kompromißlosester der Salafisten-Führer 549 und weigerte sich sogar, mit den Gemäßigten innerhalb seiner eigenen Gruppe zu sprechen. Für den radikalen Mourad, dessen Glaube in seinen Augen und seinem flammend roten Haar glühte, gab es nur eines: die islamische Weltrevolution. 1999 hatte der indische militärische Abschirmdienst von einer neuen Gruppe

Weitere Kostenlose Bücher