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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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machte. Sie lauschte, aber die Jungen schliefen fest, und von draußen hörte man durch die offene Tür nur fernes Gemurmel.
    Shalini setzte sich auf, nahm leise ein Glas Wasser und benetzte sich Gesicht, Hände und Füße. Dann ließ sie sich mit untergeschlagenen Beinen vor Ambabai und Bhavani nieder. Du hast ihn im Stich gelassen, Bhavani. Tag für Tag habe ich gebetet, er möge wohlbehalten wiederkommen, aber du hast ihn im Stich gelassen. Ich werde dich nicht mehr beschimpfen, ich werde dich nicht mehr fragen, warum. Du nennst mir keine Gründe, und ich werde dein Schweigen akzeptieren. Aber schenk mir ein klein wenig Frieden, schenk mir Erlösung von diesem Tumult des Schmerzes. Ich muß Ruhe bewahren, um meiner Kinder willen. Hörst du mich, Ambabai? Gewähre mir diese Gnade. Bitte gib mir in meiner Trauer Kraft. Bhavani ist gleißendes blaues Licht, selbst ihr Erbarmen ist wie kühles Mondlicht, aber du, Ambabai, bist all dies: fruchtbare Felder und Wasser im Überfluß, reiche Erde, der Atem des Neugeborenen und großblütiger Lotos, du bist meine Mutter, Ambabai, hol mich zurück aus meiner Verbannung, laß mich wieder in deinem Schatten leben. Er war ein guter Mensch. Er ist nach Pandharpur 472 gefahren, als ich ihn darum bat, obwohl er nicht daran glaubte, daß Frömmigkeit seinen Rücken heilen würde. Er hatte Schmerzen, ich sah, wie er am Ende des Tages die Hand in die Seite stemmte, um sich aufrecht zu halten, aber er hat für uns gesorgt, er hat seine Arbeit getan. Er war streng, aber nie hart, Rohit und Mohit haben sich nie vor ihm gefürchtet. Am Tag seiner ersten Beförderung hat er mir eine goldene Kette um den Hals gelegt, und sie blieb dort, auch in schlechten Zeiten. Nie hat er in Gelddingen Rechenschaft von mir verlangt. Nie hat er mich geschlagen, wenn wir Streit hatten, nur einmal hat er mich wütend am Ellbogen gepackt, so daß ein blauer Fleck entstand. Wir waren jung, Ambabai, er strich den Schmerz mit Alaun fort, er machte Kurkuma warm, und seine Sorge besänftigte mich. Damals roch er nach Kokoshaaröl und Shivaji-Zigarillos, später verzichtete er uns zuliebe auf jede Form von Tabak. Er ging zu anderen Frauen, das wußte ich, wir stritten uns deswegen, und er sagte, er hätte damit aufgehört, aber wirklich aufgehört hat er erst, als er begriff, was es heißt, Vater zu sein. Er hat mich verletzt, Ambabai, und ich ihn. Ich weiß, daß meine kühle Ruhe ihm manchmal schwer zugesetzt hat. Aber ich habe meine Pflicht als Ehefrau erfüllt, ich gab ihm die Umarmungen, die Männer wollen. Ich gab ihm zu essen, und er kam für mich auf. Wir waren Gefährten, Freunde, nicht ohne Streit, aber ohne Groll. Ich verdiene Geld, ich lebe so vor mich hin, aber nachts zerrt ein grober Strick an meinem Bauch und zieht mich auf seine Seite des Bettes. Ich sehe Dinge. Ich sehe ihn im Bett husten, er hat Fieber, ich bringe ihm die Zeitung, und er nimmt sie, seine Hand ist heiß, und mich überfällt Sorge. Ich sehe, wie er das Kholi betritt und Mohit ihm mit nasser Hose entgegenkrabbelt. Wie er mit gekreuzten Beinen dasitzt und Geld zählt. Wie ich Zwiebeln schneide, am Tag vor Shayani Ekadashi 586 . Wo bist du, Ambabai? Bhavani, bist du da? Ich spüre, daß du nahe bist, Ambabai, aber ich bin allein. Steh mir bei, Ambabai. Ich bin allein.
    »Ma?«
    Rohit stand hinter ihr. Sie ließ sich von ihm zu Bett bringen, lauschte den Worten, mit denen er sie zu trösten suchte, und schickte ihn wieder ins Bett, damit er sich selbst tröstete. Sie erinnerte sich, wie sie an jenem Abend zu Arpana gegangen war, um zwei Zwiebeln zu borgen, wie sie vor ihrem Haus gestanden, dicht an der Tür vor dem Regen Schutz gesucht und auf die bitteren und süßen Laute gehorcht hatte, die Arpana von sich gab. Entschlossen verbannte Shalini all diese Gedanken und Erinnerungen aus ihrem Kopf, aber es blieb ein dumpfer Schmerz, der sich mit jedem Atemzug regte. Sie ertrug ihn und flüsterte Ambabais Namen, wieder und wieder.

    Anjali Mathur folgte der Spur des Geldes. Sie tat es in ihrer spärlichen Freizeit am Ende des Tages oder ganz früh am Morgen. Auch an diesem Dienstag saß sie schon früh im Büro und las in alten Akten. Sie hatte eine Recherche zum Thema Falschgeld aus Pakistan vorgenommen, und obwohl sie die Suche in der Datenbank auf die Zeit nach dem 1. Januar 1987 beschränkt hatte, umfaßte das Material über siebzig bedruckte Seiten. Seit vier Monaten ging Anjali nun die einzelnen Berichte durch. Es war eine

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