Der Pate von Bombay
Ehemann. So wäre es fair gewesen. Mary konnte ihr einfach nicht begreiflich machen, daß sie genau das nicht wollte: sich bezahlen lassen. Sie wollte Jojos schmutziges Geld nicht, Geld, das aus schmierigen Abenteuern schmieriger Männer in schmierigen Hotelbetten stammte, sie wollte kein Geld als Entschädigung für einen Ehemann, für Glück, für eine Kindheit. Mary hatte zwar nie aus tiefster Seele an Gott geglaubt, aber sie war einmal ganz selbstverständlich davon überzeugt gewesen, daß das Leben auf Erden gut sei, daß sie eine lange, freundliche Zukunft mit Mann, Kindern und Enkeln vor sich habe, leicht getrübt nur durch aufgeschürfte Knie und Fiebernächte, aber immer voller Liebe. Daran hatte sie geglaubt. Obwohl ihr Vater so früh gestorben war, hatte sie geglaubt, daß sie die Erfüllung finden würde, die ihrer Mutter versagt geblieben war. Jojo hatte sie für immer aus diesem Paradies der Unschuld vertrieben.
Sie schaltete die Raumschiffe ab und legte sich wieder zurück. Sie atmete ein und langsam wieder aus, versuchte einen leichten, gleichmäßigen Rhythmus zu finden. Doch in dieser Nacht suchte Jojo sie heim und hielt sie wach, wie sie es früher, wenn sie im Schlaf um sich geschlagen und getreten hatte, nie getan hatte. Nicht einmal nach ihrem Tod, in jener ersten Woche des Schocks, hatte Mary so lange wach gelegen. In letzter Zeit hatte sie manchmal tagelang nicht mehr an Jojo gedacht und schon geglaubt, sie sei endlich frei von ihr. Aber da war noch die ungeklärte Frage der Wohnung und des Geldes, und Unerledigtes mochte Mary nicht. Sie war immer die Verantwortungsbewußtere der beiden Schwestern gewesen. Deshalb wäre sie auch eine so gute Mutter geworden. Wieder spürte sie diesen stechenden Ärger in der Brust. Vergiß es. Laß es los. Atme, atme. Laß los.
Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, wachte Mary mit müdem Kopf auf, spürte die große Erschöpfung, als sie die Füße auf den Boden setzte. Vier oder fünf Stunden Schlaf waren nicht annähernd genug - normalerweise schlief sie neun Stunden aber der Tag fing nun einmal an, und sie mußte zur Arbeit. Und sie ging zur Arbeit. Jana merkte es sofort. In einer Pause zwischen zwei Kundinnen flüsterte sie ihr zu: »Also hast du jetzt endlich einen Freund, du verschlafener Jaan?«
Mary schüttelte den Kopf, aber Jana grinste und bewegte das Becken vor und zurück. Mary schaute schnell weg und trat auf die andere Seite ihrer Kundin, um Jana nicht zu weiteren Schandtaten zu provozieren. Es grenzte an ein Wunder, daß sie nicht längst gefeuert worden war. In der Mittagspause, als sie draußen vor dem Salon den Inhalt ihrer Tiffins verzehrten, versuchte Mary ihr klarzumachen, daß sie nur eine schlaflose Nacht hinter sich hatte, aber Jana glaubte ihr nicht.
»Du schläfst doch wie ein Stein, du würdest nicht mal aufwachen, wenn das Nachbarhaus abgerissen würde. Andere kannst du zum Narren halten, mich nicht. Da ist doch was im Busch.«
So war es auch, aber Mary konnte Jana nichts von Jojos ärgerlicher nächtlicher Wiederkehr erzählen. Sie kannte Janas Standpunkt zu diesem Thema nur zu gut und wollte ihn nicht noch einmal hören. »Ich hab einfach schlecht geschlafen, Jana«, sagte sie, »weiter nichts. Wie geht's Naresh und Suresh?« Naresh war Janas zweijähriger Sohn, und Suresh war ihr Mann, den sie gegen den Widerstand ihrer Eltern und Schwiegereltern geheiratet hatte. Sie nannte Vater und Sohn »meine Bachchas« und erzählte gern lange Geschichten, die von ihrer liebevollen Geduld, ihrer weiblichen Klugheit und mütterlichen Strenge zeugten. Suresh war fünf Jahre jünger als sie, aber von einer Nachsicht und Gelassenheit gegenüber ihrem Temperament, die Mary schon immer wahrhaft heroisch gefunden hatte. Die beiden ergänzten sich gut, der eine ruhig, die andere laut.
»Versuch nicht, dich aus der Affäre zu ziehen«, sagte Jana, zeigte mit dem Finger auf Mary und schnippte ihr dabei versehentlich ein Stück Mango-Pickle auf den Rock. »Erzähl.«
»Da gibt's nichts zu erzählen, du dumme Gans.« Mary wehrte Janas Versuch, das Öl wegzuwischen, ab. »Überhaupt nichts. Ich schwör's.«
Doch dieses Nichts hielt Mary die ganze Woche über wach, so daß sie jeden Morgen noch unausgeschlafener aufwachte. Am Freitag sagte sie einen Frauenabend mit Kino und Essen ab, ging nach Hause und nahm ein Schlafmittel. Erst stellte sich ein angenehm schweres Gefühl in den Armen ein, und sie kuschelte den Kopf ins Kissen und
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