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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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gefältelte, zart knisternde Folie ab. Goldener Kakaoduft stieg auf, und sie sog ihn tief ein und wandte einen Moment den Kopf ab, um ihn dann von neuem zu genießen. Sie knabberte immer erst nur an der Kugel, so daß ihr Gaumen von dem klaren, warmen Geschmack kribbelte. War diese erste Wonne verflogen, biß sie herzhafter zu. Und es war himmlisch. Der dunkle Geschmack des Rums wirbelte um ihre Zunge, und sie bedachte den Leoparden mit einem leisen, befriedigten Zischen.
    Dann machte sie sich bettfertig. Da sie niemals Make-up auflegte, war es ein kurzes Ritual: eine schnelle Wäsche mit Neem-Seife, gründliches Zähnebürsten mit Meswak-Zahnpasta. Sie zog einen rosafarbenen, vom jahrelangen Waschen ausgebleichten und weich gewordenen Kaftan an und legte sich auf den Rücken, die Hände an den Seiten. Als Kind hatte Jojo sie wegen dieser Totenstellung aufgezogen. Jojo war selbst noch im Schlaf ein Wirbelwind gewesen und wachte oft mit den Füßen auf dem Kopfkissen auf. Sie trat und schlug um sich, wollte aber bei Mary liegen, und oft beklagte sich Mary beim Frühstück über den entgangenen Schlaf.
    Mary stand auf, ging ins Bad und legte sich wieder hin. Sie versuchte tief und gleichmäßig zu atmen, doch ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe. Du mußt schlafen, flüsterte sie. Morgen ist ein langer Tag. Und, und. Und Jojo hatte die Rumkugeln von Rustam's geliebt, aber sie hatten sie sich höchstens einmal im Monat leisten können. Und heute dann dieser Sartaj Singh, der wie eine Schildkröte auf ihrer Ufermauer gehockt hatte. Das letzte Mal hatte sie in seinem Wagen mit ihm gesprochen und ihm von John und Jojo erzählt. Sie hatte sehr schlecht geschlafen, nachdem er ihr die Nachricht von Jojos Tod überbracht hatte; vier Wochen lang war sie mit taumelndem Herzen wie betäubt herumgelaufen. Dann hatte sich dieses Wissen allmählich gesetzt und war Teil der neuen Welt geworden: Deine Schwester ist tot. So war es, wenn man mit etwas Unmöglichem konfrontiert wurde - dein Mann schläft mit deiner Schwester -, als erstes kam der Ekel, der Verlust jeglicher Orientierung. Die eigenen vier Wände wurden zu Feindesland. Und eines Tages erkannte man, daß man in diesem rauhen Ödland, in diesem fremden, grellen Licht zu Hause war. Man mußte nur genug Geduld und Willenskraft aufbringen, um die ersten Schrecken zu überstehen.
    Mary setzte sich auf, stopfte sich ein Kissen in den Rücken und schaltete den Fernseher wieder an. Sie fand einen Dokumentarfilm über Raumstationen, stellte den Ton leise und betrachtete die spinnenartigen weißen Gebilde vor dem Hintergrund der Sterne. Sie waren von Menschenhand geschaffen, aber sie wirkten beruhigend. Jojo war.die Gläubige von ihnen beiden gewesen, als Elfjährige hatte sie stets mit einem Kreuz unter dem Kissen geschlafen, und in der Kirche hatte sie mit strahlenden Augen zum Altar aufgeblickt. Später hatte sie ihre Liebe auf den Ruhm gerichtet, hatte diesen Gral mit demselben tiefen Glauben gesucht. Mary kam dem erhabenen Gefühl, von dem Jojo ihr erzählt hatte, am nächsten, wenn sie ein Gnu durch ein Tal streifen sah oder Weltraumaufnahmen der Jupiterringe betrachtete. Seit drei Jahren und fünf Monaten sparte sie auf einen Safari-Urlaub in Afrika.
    »Du könntest schon morgen nach Afrika, Chutiya, wenn du einfordern würdest, was dir zusteht«, hatte Jana gesagt, glühend vor Gier nach Jojos Eigentumswohnung, die sie nie gesehen hatte. »Wir reden hier von einer Wohnung in der Yari Road und nicht von einem stinkenden Kholi.«
    »Sie gehört mir nicht.«
    »Dann gehört sie wohl mir, oder was? Vielen Dank.« Und auf englisch und mit einer Verbeugung wiederholte sie: »Vielen Dank.«
    »Du kannst sie haben.«
    »Als ob die sie mir geben würden. Hör zu, das sind die Fakten: Sie war deine Schwester. Sie ist tot. Es gibt keine anderen nahen Verwandten. Also fällt alles an dich. Die Wohnung, das Bankguthaben, alles.«
    Jana hatte ein Gaali 198 für jede Gelegenheit und jeden zweiten Satz, und sie war eine ausgezeichnete Maniküre, eine Expertin für schicke Fingernägel. Marys Skrupel betrachtete sie mit geringschätziger Verblüffung. »Hör zu, deine Schwester war eine Randi. Okay, daher stammt das Geld zum Teil. Aber sie hat auch Fernsehsendungen gemacht, oder nicht? Also nimm das Geld und denk dir, es kommt vom Fernsehen. Was macht das schon? Schließlich hat sie dir deinen Mann weggenommen, oder nicht?«
    Das war Gerechtigkeit in Janas Augen - gutes Geld gegen einen

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