Der Pate von Bombay
das genügt. Es geht den Rechtsweg, deswegen kann es eine Weile dauern. Für die Papiere werden Sie einen Anwalt brauchen.«
»Ich kenne eine Anwältin.«
»Von Ihrer Scheidung her?«
»Ja.«
»In Bombay sagt man ja, daß man einen Politiker, einen Rechtsanwalt und einen Polizisten in seinem Freundeskreis haben sollte.«
»Die Anwältin ist meine Freundin geworden, Politiker oder Polizisten kenne ich keine.«
»Sie kennen doch mich.«
Er lächelte. Mary wußte, daß sie jetzt hätte protestieren und ihm sagen müssen, daß er nicht ihr Freund sei, worauf er erklären würde, daß er das sehr wohl sei. Aber sie sagte nur: »Ich werde meine Anwältin bitten, sich um die Papiere zu kümmern. Wann kann ich diese Bescheinigung bei Ihnen abholen?«
Sein Lächeln verschwand. »Sie brauchen nicht eigens zu kommen«, sagte er. »Ich bringe sie Ihnen vorbei. Kein Problem.«
»Das macht mir aber nichts aus.«
»Da müßten Sie doch den weiten Weg zum Revier machen. Das ist nicht nötig.«
Eine Polizeistation ist kein Ort für eine Frau, meinte er damit. »Hören Sie«, sagte Mary, »ich kenne mich in dieser Stadt aus. Ich kann ohne weiteres auf Ihr Revier kommen. Sagen Sie mir nur, wann.«
»Okay.« Er schwieg einen Moment. »Und ... Und gibt es noch etwas über Ihre Schwester?« fragte er dann ernst.
»Ich habe Ihnen alles gesagt.«
»Ja. Trotzdem. Vielleicht ist Ihnen in all den Monaten ja noch etwas eingefallen.«
»Nein, nichts.«
»Irgendeine Kleinigkeit. Etwas, das Ihnen unwichtig erscheinen mag, uns aber weiterhelfen könnte. Bitte denken Sie noch mal nach.«
Sie hatte die ganzen langen Wochen, die ganzen Monate nachgedacht. Wie geringfügig konnte so eine Kleinigkeit sein? Wie konnte Jojos unerklärliche Liebe zu dem dicken Rishi Kapoor 534 und seiner dennoch leichtfüßigen Tanzerei ihm weiterhelfen? Es gab alles und nichts zu erzählen. »Wenn ich etwas wüßte, würde ich's Ihnen sagen. Ich weiß ja nicht mal, was Sie wissen wollen.«
Er nickte und schien einen Entschluß zu fassen. »Das ist gerade das Problem: Wir wissen selbst nicht genau, wonach wir suchen. Wir ermitteln nach wie vor, was Ganesh Gaitondes Tod betrifft. Wir wissen noch immer kaum etwas darüber, weshalb er nach Indien zurückgekommen ist, weshalb er sich umgebracht hat. Deshalb brauchen wir jede Information, die irgendwie mit ihm zusammenhängt. Wir wissen, daß Ihre Schwester ihm nahegestanden hat. Wir wissen, daß sie ihm Mädchen geschickt hat. Viele Mädchen, über einen langen Zeitraum, nach Bangkok, nach Singapur und so weiter. Wenn wir also mehr über Ihre Schwester wüßten - wo sie sich überall aufgehalten hat, mit wem sie Kontakt hatte könnte uns das auch Informationen über Gaitonde liefern. Deswegen frage ich immer wieder.«
»Ja«, sagte Mary. »Okay.«
Er stemmte sich hoch, und sie sah, daß es ihm Mühe machte. »Okay«, sagte er. »Ich rufe Sie an.« Er nickte.
Mary wurde plötzlich bewußt, wie schroff sie gewesen war. »Danke«, brachte sie hervor. »Vielen Dank.«
»Keine Ursache.« Er schloß leise die Tür, und Mary hörte ihn die Treppe hinuntergehen.
Keine Ursache - don't mention. Als Mary Englisch lernte, hatte sie jahrelang »mention not« gesagt, bis Jojo sie verbessert hatte. Jojo hatte die Sprache sehr schnell gelernt, sie hatte flüssiger, selbstverständlicher und korrekter Englisch gesprochen, und sie hatte die richtigen Fehler gemacht. Sartaj Singhs Englisch war ehrgeizig, aber er stolperte hin und wieder darüber. Wahrscheinlich hielt er es für besser, als es tatsächlich war. Soviel Arroganz besaß er noch.
Mary tat diese Gedanken mit einem Achselzucken ab. Sie ging unter die Dusche und ließ lange Zeit das Wasser auf ihren Rücken prasseln. Sie liebte kaltes Wasser, liebte den Schauder, selbst im Winter. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, hatte sie zu dem staunenden John gesagt. Wir hatten kein fließendes warmes Wasser wie ihr in der Stadt. Wenn man welches wollte, mußte man es heranschleppen.
Die Erinnerungen kamen wieder, doch sie belasteten Mary nicht, nicht an diesem Abend. Sie lag im Bett und ließ sie fließen. Nachdem sie mit Sartaj Singh gesprochen hatte, fühlte sie sich erleichtert. Was immer sie Jojo noch schuldete - sie würde es tun. Jawohl. Sie mußte an eine Sendung über afrikanische Elefanten denken, die sie einmal gesehen hatte, und mit dem Bild junger Elefanten, die hinter ihren Müttern hertaumelten, schlief sie ein.
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Ganesh Gaitonde
wird angeworben
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