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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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würde für dich schon einen hochkriegen? Ich hätte sie am liebsten umgebracht, sie irgendwo fernab ins Wasser geworfen und für immer mit der Ehe abgeschlossen, egal, was meine Freunde gesagt oder gewollt hätten. Mein ganzer Körper verlangte nach Mord, ich verspürte einen bebenden, pulsierenden Druck im Rückgrat, den Drang, sie entzweizuhacken. Fast hätte ich sie umgebracht. Doch dann sagte sie etwas.
    »Bist du früher schon mal auf einem Schiff gewesen?«
    Ja, ich war schon mal auf einem Schiff gewesen. Ich war auf einem klappernden Boot durch schieferfarbene Wassertäler geschippert, ich hatte einen Mann getötet, einen Freund, hatte sein Gold an mich genommen. Plötzlich wollte ich ihr von meiner Fahrt übers Meer erzählen. »Ja«, sagte ich, »vor langer Zeit, als ich noch ein Junge war. Als ich nach Bombay gekommen bin. Ich habe eine Reise gemacht.« Sie drehte sich um und sah mich an. Ich glaube, es erstaunte sie, daß ich mit solchem Eifer sprach, wo ich doch in den letzten drei Tagen nicht mehr als ein Dutzend Sätze an sie gerichtet hatte. »Damals war ich zum ersten Mal auf einem Schiff und habe zum ersten Mal das Land verlassen.« Ich erzählte ihr von Salim Kaka und von Mathu, doch nun, da sie zuhörte, die Wange auf den gefalteten Händen, stellte ich fest, daß ich ihr das Ende der Geschichte nicht erzählen konnte, ich konnte ihr nichts von den Schüssen im Dunkeln sagen, von Salim Kakas strampelnden Füßen im Wasser, konnte ihr nicht das wahre Ende schildern, das für mich der Anfang von allem gewesen war. Ich hatte es nie irgend jemandem erzählt, da konnte ich es wohl kaum ausgerechnet ihr erzählen, der kleinen Subhadra, die von meinem Wagemut tief beeindruckt war. Ich erzählte ihr das andere, das offizielle Ende - daß wir uns voller Sehnsucht nach Sicherheit und dem Geruch unserer eigenen Erde auf den Heimweg machten und unterwegs in einen Hinterhalt der Polizei jenes fremden Landes gerieten, die natürlich einen Tip von Suleiman Isa bekommen hatte, und daß Salim Kaka in einer Schießerei umgekommen war, die Brust von Maschinengewehrkugeln durchsiebt, wir anderen die heimtückischen Angreifer jedoch hatten hinter uns lassen und heil nach Hause gelangen können. Mit dem Gold. Sie seufzte, als ich fertig war, der erste zufriedene Laut, den ich von ihr hörte. Ich berührte ihre Schulter und spürte, wie sie erstarrte. Sie dachte, ich würde wieder mit meinem Gerubbel und Gedrücke anfangen, aber ich traute mich nicht, es noch mal zu versuchen. Ich ließ die Hand auf ihrer Schulter liegen, wir hoben und senkten uns gemeinsam unter unseren Atemzügen, hörten das Wirbeln des Wassers am Boot, und allmählich entspannte sie sich. »Und du?« fragte ich. »Warst du schon mal auf dem Meer?«
    Sie erzählte mir von einem Ausflug nach Elephanta in ihrer Kindheit - daß ihr auf dem Boot schlecht geworden sei und sie versucht habe, noch die Reling zu erreichen, jedoch ihr neues gelbes Kleid besudelt habe, daß es auf dem spiegelglatten, glitzernden Wasser, das in den Augen geschmerzt habe, gnadenlos heiß gewesen und ihr Vater auf der Rückfahrt bestohlen worden sei. Das Meer konnte offensichtlich sowohl Glück als auch Unheil bringen. Ich sagte ihr das, hörte sie leise »Ja« flüstern, und dann schliefen wir.

    Nachdem sie einmal angefangen hatte zu reden, fand sie kein Ende mehr. Worüber sie redete, war schwer zu sagen, denn sie redete über alles, die Bauchschmerzen ihrer Schwester, Indira Gandhi, Ausflüge an den Flughafen, um Flugzeuge starten und landen zu sehen, einen quietschenden Tischventilator, von dem ihr Vater sich nicht trennen konnte, das Risiko, in der Regenzeit an Malaria zu erkranken, den besten Bhelpuri-Verkäufer am Strand von Juhu, Wracks in angeschwollenen Flüssen. Wenn man ihr zuhörte, leuchtete es völlig ein, wie sie von einem Thema zum nächsten gelangte, doch schon fünf Minuten später erschien alles wirr und zusammenhanglos und war nicht mehr reproduzierbar. Über diesem sprunghaften Geplauder konnten Stunden vergehen. Ich empfand es als entspannend. Wir saßen auf Deck unter einer blau-weiß gestreiften Markise, beide mit Sonnenbrille, sie noch in der Pracht ihres glänzenden Brautschmucks. Ich lauschte dem an der Bootswand singenden Wasser, und sie redete. Es war ein angenehmes Säuseln, das meinen Kopf leerte, meine nächtliche Demütigung in sicherer Entfernung hielt. Die Jungs wahrten respektvolle Distanz, blieben in Ruf-, aber außer Sichtweite. Ich redete

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