Der Pate von Bombay
mir ein, ich sei am Nachdenken, Planen, Analysieren, befasse mich in diesen verstreichenden Stunden mit dem Problem Suleiman Isa, dem Problem der Erweiterung meiner Company, dem Problem unserer künftigen Ausrichtung, doch tatsächlich lullte ich mich ein, schlief mit offenen Augen. Ich war völlig entspannt. Ich war ruhig.
Einen halben Tag nach Goa wurde meine meditative Benommenheit von Chhota Badriya unterbrochen. Er kam polternd die Metalltreppe herauf, und in seinen hastigen Schritten lag spürbare Angst. Ich ging ihm entgegen, ein Stück die Treppe hinunter.
»Was gibt's?« wollte ich wissen.
»Der Kapitän hat gesagt, sie hätten gerade Nachrichten gehört. Es sieht gar nicht gut aus, Bhai.«
»Was ist denn passiert?«
»Die Moschee ist gestern nachmittag niedergerissen worden.« Er mußte nicht sagen, welche Moschee, denn seit Monaten war immer nur von einer Moschee die Rede, einem alten, fernen Trümmerhaufen von einem Gebäude, den manch eine Partei begierig zu ihrem Thema gemacht und der sich zum Wallfahrtsziel Tausender entwickelt hatte, zum Wahrzeichen eines historischen Unrechts. Ich hatte das alles ziemlich albern gefunden, hatte die ganze Frage, den ganzen Hader für Politikergetrickse gehalten. Doch die Zerstörung der Moschee würde uns alle betreffen. Soviel war klar.
»Und?« fragte ich.
»In Bombay sieht es es schlecht aus, Bhai«, sagte Chhota Badriya. »Es gibt Krawalle.«
In Goa fuhren wir vom Kai direkt zum Flughafen, und noch am selben Nachmittag flogen wir nach Bombay zurück. Ich versuchte von Goa aus unsere Controllers in Bombay anzurufen, wählte ein Dutzend Nummern an, doch sämtliche Leitungen waren tot. »Die Polizei hat wohl die Telefone abgestellt«, sagte Chhota Badriya. Das machten sie manchmal, wenn es Unruhen gab. Am Flughafen war von brennenden Bussen die Rede, von Heckenschützen, die von Dächern aus in Menschenmengen schössen, von Männern und Frauen, die durch die Straßen gejagt und getötet wurden. Ich wollte nach Bombay zurück, ehe Suleiman Isa die Situation ausnutzte, ehe diese Mistkerle im Schutz des Chaos mit geballter Kraft gegen uns vorgingen. Während eines Aufruhrs kann ein Bandenkrieg offen geführt werden, und wenn jemand umgebracht wird oder ein Haus in Flammen aufgeht, ist niemand dafür verantwortlich. Ein Aufruhr ist eine unkontrollierte Zeit des unkontrollierten Mordens. In so einer Zeit durfte meine Company nicht richtungs- und führungslos dastehen, und deshalb flogen wir zurück. Als wir ins Flugzeug stiegen, spürte ich, daß ich an den Golis schwitzte. Sämtliche Sitzreihen waren leer, alle anderen Passagiere hatten ihren Flug storniert, nur wir wollten in das von Unruhen erschütterte Bombay. Ich saß zitternd auf meinem Sitz, feucht zwischen den Beinen - dieses klapprige Teil, dieser maderchod Bus mit Flügeln sollte fliegen? Doch ich flog, hob mich in die Lüfte, kehrte nach Bombay zu meinen Verpflichtungen zurück. Als wir scheppernd und klappernd über den schwarzen Asphalt rasten, sagte ich zu Subhadra: »Rede, rede.« Mit angstverzerrtem Gesicht begann sie zu reden, in Panik versetzt nicht durch den plötzlichen steilen Aufstieg des Flugzeugs, sondern weil sie mich in Angstschweiß gebadet sah, weil sie erleben mußte, wie ihr Ravana-Gatte 529 zu einem reihernden, rotznasigen Hijra 271 wurde. Ich erbrach mich in eine Papiertüte, und sie setzte sich aufrecht hin und legte mir die Hand auf die Schulter. Ich wußte, daß ihr die klamme Furcht ihres Mannes zuwider war. Und was war das auch für ein Mann - nicht der ehrfurchterregende Rakshasa, den sie in ihrem Ehebett erwartet und dessen überwältigender Ruf sie schwindeln gemacht hatte, nicht dieser König, sondern ein impotenter Clown. Aber sie war pflichtbewußt. Sie redete.
Als das Flugzeug über Bombay in Schräglage ging, verstummte sie. Ich beugte mich über sie, und wir preßten beide das Gesicht an das Plastik, sahen vor der verschwommenen Küste eine Handvoll Inseln auftauchen, und dann konnte ich Straßen, Gebäude, die Umrisse von Siedlungen und die großflächigen braunen Bastis sehen. Ich hörte, wie hinter uns die Jungs stritten.
»Da ist Andheri.«
»Maderpat, wo soll denn da Andheri sein? Das ist Madh Island, das sieht man doch.« Dann wurden alle still. Von einer Küstensiedlung wand sich eine dicke schwarze Rauchsäule empor und zog in Richtung des Stadtzentrums, auf andere mäandernde Rauchschwaden zu - die Stadt brannte.
Während des Sinkflugs fiel kein Wort.
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