Der Pate von Bombay
daß ich heiratete und zur Ruhe kam, und ich hatte sein Andenken verschmäht, seine Seele mit der Bestrafung, die ich seinen Feinden hatte angedeihen lassen, notdürftig zufriedenzustellen versucht, während seine tatsächlichen Mörder noch frei herumliefen. Und deshalb stand ich in der Ehe, die er für mich angebahnt hatte, unter einem Fluch. Ich konnte die Ehe nicht vollziehen, solange ich nicht meine Pflicht an seiner Seele vollzogen, sie ihren Frieden gefunden hatte. Meine Unzulänglichkeit als Ehemann erwuchs aus meiner Unzulänglichkeit als Freund. Ich lachte. Es hatte Subhadras bedurft, um mir das vor Augen zu führen, und Subhadra hieß auch die Schwester jenes Gottes, den Paritosh Shah verehrt hatte. Irgendwie paßte das alles zusammen. Ich sprang auf, beugte mich zu meiner Frau hinunter und küßte sie. Ich fühlte mich wiederbelebt, wie neugeboren. Ich lief hinaus, rief meine Jungs in den Versammlungsraum, weckte Chhota Badriya.
»Was haben wir in letzter Zeit unternommen, um herauszufinden, wer die Männer waren, die Paritosh Shah umgebracht haben? Haben wir Geld geboten? Wieviel? Wen haben wir befragt? Wen haben wir gefangengenommen?«
Binnen einer Stunde hatte ich neue Pläne geschmiedet, neue Winkelzüge veranlaßt, den Fluß des Geldes, das Zungen lösen sollte, verdoppelt, ja verdreifacht, hatte mit Polizisten und Company-Männern, mit Scharfschützen und Khabaris geredet, Namen, Halbnamen und Schatten von Namen sowie Adressen gesammelt und Gerüchte über Abtrünnige und Intrigen zusammengetragen. Das Haus war von reger Betriebsamkeit erfüllt, und ich spürte, daß meine Macht ganz Bombay durchfloß wie elektrischer Strom, Männer und Frauen waren meinetwegen unterwegs, redeten und bewegten sich in einem Zusammenspiel, das ich in Gang gesetzt hatte, ich hatte mein Netz weit ausgeworfen und würde die Mörder darin fangen, ich würde sie erwischen. Sie konnten mir nicht entkommen. Paß gut auf, Paritosh Shah, Bhai, fetter Mann. Du wirst mich wieder in den Besitz all meiner Kräfte bringen müssen. Ich werde dir deine Mörder geben, und du wirst mir Subhadra und meine Ehe geben, du wirst mich mir selbst zurückgeben.
Und dann gingen die Krawalle wieder los. Aus den geplagten Gassen, aus den Straßen, die noch die alten Verletzungen betrauerten, kam Nachricht von neuen Morden: Hier ein Moslem erstochen, dort ein Hindu getötet, mehrere Hafenarbeiter massakriert, eine Familie bei lebendigem Leibe verbrannt. Schreie ließen die Fensterscheiben erzittern, das Knattern von Schüssen lärmte bis tief in die Nacht. Ich postierte meine Jungs an den Grenzen von Gopalmath und schärfte ihnen ein, sich nicht von der Stelle zu rühren, achtzugeben, Wache zu halten. Nach drei Tagen kam Bunty mit Klagen zu mir. »Ich kann die Jungs nicht mehr unter Kontrolle halten, Bhai«, sagte er. »Sie wollen endlich etwas tun.«
»Was denn tun?« raunzte ich. »Losziehen und alte Frauen umbringen? Wozu?«
Er zog den Kopf ein. »Die bringen uns um.«
»Und?«
»Bhai?«
»Du siehst aus, als wolltest du mir noch etwas sagen.«
»Die Jungs meinen ... Einige von ihnen fragen sich, ob Bhai auf unserer Seite oder auf der Seite der Moslems ist.«
Da hatten wir es, notgedrungen: Wir oder sie. War ich wir oder sie? »Ich bin auf der Seite des Geldes«, sagte ich. »Und aus dieser Geschichte läßt sich kein Profit ziehen. Sag ihnen das.«
Doch die Frage ging mir nicht mehr aus dem Kopf, in all den Nächten des Mordens. Wir oder sie? Wer war ich, der ich die Angreifer und die Verteidiger der Moschee immer gleichermaßen als Dummköpfe betrachtet hatte? Die Moschee war zerstört, und jeder war zum Angreifer und Verteidiger von irgend etwas geworden, man mußte sich entscheiden, ob man wir oder sie war. Aber was war ich? Ich dachte darüber nach, wartete darauf, daß Paritosh Shah mir ein Zeichen gab, und hielt mich aus dem Blutvergießen heraus. Unterdessen verließen mich einige der Jungs. Sie waren von meinem Stillhalten, meiner Tatenlosigkeit frustriert. Im wabernden Nebel der Wut befangen, der über den brennenden Geschäften, den Leichen in der Gosse hing, zogen sie los, mit Schwertern und Pistolen bewaffnet. Sie zerrten Männer aus Autos und schlitzten sie auf, sie vergewaltigten Frauen, die sich in armseligen Hütten zusammengedrängt hatten, und schnitten ihnen danach die Kehle durch, sie griffen zu Kerosin und Streichhölzern und verbrannten Nachzügler bei lebendigem Leibe, sie erschossen Kinder. So verlor ich in
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