Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
sie. »Das tut weh.«
    »Jetzt übertreib mal nicht.« Ich ließ sie los. »Ich hab dich doch kaum berührt.«
    »Doch«, sagte sie. »Du bist stark.« Sie rieb sich den Arm. »Schau, du hast einen richtigen Abdruck hinterlassen.«
    »Ich sehe nichts.«
    »Selbst die Jungs sagen es.«
    »Was?«
    »Daß du gar nicht weißt, wie stark du bist. Gestern haben sie gesagt, jetzt zeigt er endlich seine wahre Stärke. Jetzt wissen wir, daß er ein echter Hindu-Führer ist.«
    »Hindu-Führer?«
    »Ja.« Sie schaute auf ihren blassen Arm hinunter, wo die Haut von meinen Fingern zart gerötet war. »Sie haben gesagt, jetzt zeigt er diesen Scheißkerlen, was ein echter Hindu-bhai ist.«
    Am Himmel war eine Sinuskurve aus Licht zu sehen, ein abwärts fließender Fluß. Es gab den Himmel über uns, und es gab uns darunter. Es gab Hindus, und es gab Moslems. Alles existierte in Paaren, in Gegensätzen, brutal und schön.
    »Mach die Tür zu«, sagte ich.
    »Wie bitte?«
    »Du hast richtig gehört.«
    Was geschah an diesem Abend mit mir? Mein Leben lang hatte ich mich wie ein Geist gefühlt, wie tausend in meinem Körper umherschweifende Geister, einer verlorener als der andere. Ich war aus dem Nichts gekommen und hatte mir einen Namen gemacht, doch ich hatte immer das Gefühl gehabt, daß ich eine Rolle spielte, viele Rollen, und problemlos von diesem Namen zu einem anderen wechseln konnte, war ich heute Ganesh Gaitonde, so konnte ich morgen genausogut Suleiman Isa sein und übermorgen irgendeiner der Männer, die ich umgebracht hatte. Ich hatte Wut verspürt, Schmerz, Verlangen, aber ich hatte nie zugelassen, daß diese Fragmente sich zusammenfügten, eine Gestalt bildeten. Ich hatte Männer dazu gebracht, an mich, an Ganesh Gaitonde, zu glauben, doch insgeheim hatte ich sie dafür verachtet, denn ich war ein Nichts. Ich hatte an nichts geglaubt. Ich hatte mich auf nichts festgelegt. Und so war ich nur das Phantom eines Mannes gewesen, zur wilden Paarung mit Huren fähig, in deren nassen Chuts ich zur realen Person zu werden suchte, doch für die Ehe nicht geeignet. Die Ehe ist Glaube. Die Ehe ist Zuversicht. Die Ehe ist Ganzheit. Jetzt erkannte ich es: Ich war unfähig gewesen, eine Ehe zu führen, unvollständig und unvollkommen und deshalb impotent. Doch all die Wege, die ich in der Annahme gegangen war, ich sei allein, all diese holprigen Pfade hatten mich zwangsläufig zu einer Zugehörigkeit geführt. Ich hatte Bastis niedergebrannt, und damit hatte ich eine Entscheidung getroffen, ich war gezwungen gewesen, mich für eine Seite des Schlachtfelds zu entscheiden, der gerissene alte Paritosh Shah hatte sich letzten Endes durchgesetzt. Jetzt stand ich bereit. Ich wußte, wer ich war. Ich war ein Hindu-bhai. Und so bewegte ich mich entspannt über meiner Frau, meiner Ehefrau, spürte meinen starken Puls in jedem Zentimeter meines Körpers. Ich drang in sie ein. Ihr Schrei ließ mich erschaudern. Danach war Blut auf dem Laken, auf meinen Schenkeln. Ich war zufrieden. Ich sagte zu Paritosh Shah: Ich habe dich nicht vergessen. Ich werde deine Mörder finden. Dann schlief ich tief und fest, ausgestreckt auf dem Leintuch mit dem Beleg meines Sieges.
    Ich war erwacht, und dafür, daß ich erwacht war und mich selbst gefunden hatte, wurde ich belohnt. Doch die Belohnung brachte einen Fluch mit sich. Sie kam in Form eines Videos, auf dem für einen kurzen Moment der Mann zu sehen war, der Paritosh Shah verraten, ihn an unsere Feinde ausgeliefert hatte. Das Video wurde mir von einer unserer Quellen in Dubai zugespielt, einem Mann namens Shanker, der in einem Laden für Fernseher und Elektroartikel arbeitete, Mina Television. Shankers Chef, der Besitzer von Mina Television, drehte nebenher Videos von Verlobungen, Hochzeiten und Partys, und im November war er zu einer Party ins Drehrestaurant des Embassy-Hotels bestellt worden, wo er eine Shandaar-Party 583 für die Nachwelt festhalten sollte, eine kleine, aber unglaublich teure Geburtstagsparty, zu der eigens Govinda 243 aus Bombay eingeflogen worden war, damit er dort tanzte. Der Besitzer von Mina Television filmte eifrig, er bannte die champagnerseligen Toasts auf Video; die Männer, die in ihren schicken Anzügen in kleinen Grüppchen im Halbkreis zusammenstanden, in den Fäusten gedrungene Gläser mit Scotch; die Frauen, die in einer großen Traube um die Sofas herum versammelt waren, alle mit funkelnden Diamanten, deren kurzes Aufblitzen sich ins Auge des Zuschauers bohrte; Govinda

Weitere Kostenlose Bücher