Der Pate von Bombay
doch nie, was im Fernsehen kommt, und zwar mitten am Tag. Man kann als Familie schon gar nicht mehr gemeinsam fernsehen. Und dann kommen auch noch solche Leute daher, gebildete Leute, die sich Frauen wie Shalini schnappen und ihnen den Kopf verdrehen.«
Sartaj dachte daran, diesem Verteidiger der Kultur eine runterzuhauen, links und rechts, aber das würde ihn auch nicht zur Vernunft bringen, er würde sich nur noch radikaler zum Beschützer seiner Töchter aufwerfen. »Machen Sie sich mal keine Sorgen um Shalinis Kopf«, sagte er. »Sie spricht doch gar nicht mit Ihren Töchtern über diese Dinge. Und wenn sie es doch tun sollte und es Ihnen nicht paßt, dann sagen Sie ihr, sie soll das lassen.«
»Die Frau hört doch auf niemanden, Saab. Ihr Mann ist tot, und jetzt meint sie, sie kann machen, was sie will.«
»Aha, sie hört nicht auf Sie. Sind Sie deshalb so wütend?«
Vishnu wischte seine Schulter ab, an der die Hauswand abgefärbt hatte. Das Reden hatte ihn selbstsicherer und furchtloser gemacht. »Es geht mir nicht um mich, Saab, ich denke nur an die Jungen und ihr Zuhause. Das wird darunter leiden. Gharala paya rashtrala baya, wie man bei uns sagt.«
Sartaj legte Vishnu die Hand auf die Schulter und lächelte. Auf die Passanten mußten sie wie freundlich plaudernde Freunde wirken, doch Vishnu wand sich bereits unter dem Druck von Sartajs Daumen unterhalb seines Schlüsselbeins. »Sie machen sich also auch Sorgen um unser Land?« sagte Sartaj. »Jetzt hören Sie mal gut zu, Vishnu. Es gefällt mir nicht, daß Sie hier wegen Shalini Ärger machen. Sie halten sich wohl für einen bhenchod Heiligen! Laufen hier herum und verbreiten verdammte Lügen.«
»Aber das ist alles wahr, Saab!«
Sartaj drückte fester zu, und Vishnu bekam Angst. »Wahr ist, daß Shalini für ihre Söhne sorgt. Und Gutes tut. Sie sind ein kleiner Mann, Vishnu. Ihr Gehirn ist klein, Ihr Herz ist klein, und wie Sie über andere denken, das ist auch klein. Sie sind ein mieser kleiner Drecksack, Vishnu. Ich mag Sie nicht. Also halten Sie den Mund. Kein Wort mehr, verstanden?«
In Vishnus Augen glitzerten Tränen. Er zog an Sartajs Handgelenk, wurde den Schmerz aber nicht los.
»Verstanden?«
»Ja.« Doch er besaß die Hartnäckigkeit einer in die Enge getriebenen Ratte, dieser Vishnu. Er wandte den Blick ab und flüsterte: »Aber ich bin nicht der einzige, der so redet. Andere sagen das auch.«
Sartaj ließ ihn los und beugte sich nahe zu ihm. »Ja, andere Maderchods wie Sie reden immer gern dies und jenes über eine alleinstehende Frau. Besonders wenn sie einen sauberen Schwager hat, der die Gerüchte selbst in die Welt setzt. Sie halten also besser den Mund.« Vishnu nickte mit gesenktem Blick. Er würde natürlich nicht aufhören. Er würde weitermachen und seine Geschichte noch ausschmücken. »Wenn ich höre, daß Sie Ärger machen, kriegen Sie's mit mir zu tun, Vishnu. Shalini braucht jetzt Ihre Hilfe. Behandeln Sie sie, wie es sich unter Verwandten gehört. Helfen Sie ihr, dieses Zuhause zu stärken, machen Sie's nicht mit ihrem Gerede kaputt.«
Vishnus Kiefer mahlten, aber er hielt den Blick gesenkt und den Mund folgsam geschlossen. Doch zweifellos würde er ihn, sobald er sich sicher fühlte, wieder aufmachen. Sartaj tätschelte ihm die Wange. »Ich werde ein Auge auf Sie haben«, sagte er und ging davon.
Gharala paya rashtrala baya. Wenn also Stabilität und Wohlstand eines Hauses von seinen Fundamenten abhingen und die eines Landes von seinen Frauen, was sollte Sartaj dann mit der aalglatten, unberechenbaren Kamala Pandey machen? Er hatte unmißverständliche Anweisungen von Ma, und trotz seines Alters pflegte er sich ihrem Willen zu beugen. Meistens jedenfalls. Aber sie war ein Gefühlsmensch, sie wollte ein gefallenes Mädchen retten. Sie gehörte einer anderen Generation an und wußte nicht, was für Probleme jemand wie Kamala Pandey machte. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie sehr Kamala Pandey ihn auf die Palme brachte. Du mußt der Frau helfen - das sagte sich so leicht. Das Weibsstück überhaupt zu ertragen war schon schwierig genug.
Drei Tage lag die Frage Sartaj im Magen. Er ging seiner Arbeit nach, er ermittelte, verhaftete, schrieb Berichte, trank und schlief, aber er bekam Kamala Pandey nicht aus dem Kopf. Es war eine angenehme Vorstellung, daß sie in Schwierigkeiten war, daß sie sich krümmte unter der Flut obszöner Worte, die aus ihrem Handy drang, daß man ihr Geld abnahm. Ja, sie mußte lernen,
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