Der Pate von Bombay
schleierhaft, doch er flüsterte »Ja, Ma« und legte auf. Sein Bettzeug hatte sich seinem Körper angepaßt, der Vogel sang nicht allzu laut, der stumme Ventilator wehte die kühle Morgenluft herein, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Er verfluchte Kamala Pandey. Saali Kamala Pandey, eine Kutiya 356 ist sie, sagte er zu dem Vogel, eine verdammte Randi. Dann stand er auf.
Sartaj verbrachte den Vormittag mit den immer gleichen Berichten über kleine Einbrüche, die flüchtig untersucht und nie aufgeklärt wurden. Der Nachmittag verrann zwischen zwei Richtern und drei Verhandlungen bei Gericht. Um fünf trank er in dem Restaurant gegenüber eine Tasse Tee und aß ein fetttriefendes Omelett. Das Restaurant hieß Shiraz und war voll besetzt mit schwatzenden Anwälten. Sartaj suchte sich einen Platz ganz hinten in dem klimatisierten Nebenraum im ersten Stock und wich den Blicken der Anwälte aus, die an ihm vorbei zum Waschbecken gingen. Er trank ein großes Glas Chaas 101 in einem Zug aus, wischte sich den Schnurrbart und fühlte sich dann allmählich besser. Er schaffte es, den Raum zu durchqueren und die Treppe hinunterzugehen, ohne mit jemandem reden zu müssen, doch als er schon fast zur Tür hinaus war, hielt ihn ein spindeldürrer, pockennarbiger Mann auf.
»Sind Sie Sartaj Singh?«
Er war kein Anwalt. Sein graues Hemd hatte Schweißflecke, und er zeigte die verschlagene Unterwürfigkeit eines Menschen, der es gewohnt ist, daß man einen Bogen um ihn macht. Sein dröhnender Baß aber wog seine schmächtige Gestalt auf.
»Wer sind Sie?« fragte Sartaj ihn.
»Sie werden sich nicht an mich erinnern. Wir haben uns bei der Bestattung gesehen und vorher auch schon ein paarmal.«
Natürlich. Diese Stimme. »Sie sind Katekars ... Der Mann von Shalinis Schwester.«
»Vishnu Ghodke, Saab.«
»Vishnu Ghodke, stimmt.« Sartaj erinnerte sich jetzt, ihn zumindest bei der Bestattung gesehen zu haben. Ghodke hatte sich damals geschäftig um alles gekümmert. »Geht's gut, Vishnu?«
Vishnu Ghodke legte die Hand auf die Brust. »Ja, zum Glück, Saab. Obwohl ...«
Sartaj nickte. »Ja. Katekar war ein guter Mensch.« Er wartete darauf, daß Ghodke beiseite trat. »Man sieht sich.«
Aber Ghodke war noch nicht fertig. Er drehte sich zur Seite, um Sartaj vorbeizulassen, und folgte ihm auf den Bürgersteig hinaus. »Haben Sie Dadas Jungen in letzter Zeit gesehen?« fragte er von hinten.
Sartaj merkte plötzlich, daß er Vishnu Ghodke nicht besonders mochte. Er wußte nicht, warum, aber am liebsten hätte er ihm die Hand aufs Gesicht gedrückt und ihn rückwärts an die Wand gestoßen. »Ja, gestern erst, gestern abend. Ist was mit ihnen?«
»Nein, nein, Saab, alles in Ordnung.«
»Aber?«
»War ihre Mutter da?«
»Nein.«
Vishnu Ghodke schaute zu der abendlichen Autoschlange hinüber, die sich auf das Gerichtsgebäude zubewegte. Über ihm leuchtete rot das Schild des Shiraz mit seiner kunstvoll angeordneten Aufschrift in vier Sprachen. »Was soll das, Saab?« Er wandte sich wieder Sartaj zu. »Was soll das? Eine Frau hat zu Hause zu bleiben, eine Frau hat bei ihrer Familie zu sein.«
»Shalini muß arbeiten, Vishnu.«
»Das ist doch keine Arbeit, wenn man abends unterwegs ist und die Kinder hungrig zu Hause sitzen läßt.« Er vollführte ausgreifende Gesten zur Straße und zum Gerichtsgebäude hin, als würde sich Shalini zwischen schwarzen Roben und den schmutzigen steinernen Bögen herumtreiben.
Sartaj zog die Schultern hoch. Es juckte ihn in den Fingern. Maderchod. Mußte dieser Bastard genau jetzt hier aufkreuzen, ausgerechnet heute?
»Den Jungs geht es gut, sie bekommen genug zu essen, und das Haus ist sauber«, sagte er. »Was kitzelt denn Ihren Gaand?« Vishnu Ghodke wand sich, trat zurück und lehnte sich an die Hauswand. »Reden Sie schon.«
»Ich wollte nur sagen, Saab -«
»Was?«
»Sie geht neuerdings zu diesen Versammlungen.« Vishnu versuchte jetzt ruhig und vertraulich zu sprechen, vernünftig, von Mann zu Mann.
»Bei denen über Gesundheit geredet wird. Und?«
»Gesundheit ist das eine, Saab. Das andere sind diese ganzen unsittlichen Geschichten. Das ist nichts für eine anständige Frau. Und die Frauen sollen das Zeug den jungen Mädchen weitersagen und es in der ganzen Gegend verbreiten. Wieso muß ein unverheiratetes Mädchen über Schwangerschaft und Nirodh 457 und all so was Bescheid wissen? Ich habe Töchter, ich bin Vater, und ich sage Ihnen, es wird immer schwieriger. Man weiß
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