Der Pate von Bombay
daß die Welt nicht zu ihrem Vergnügen da war, daß sie nicht immer haben konnte, was sie wollte. Am vierten Tag ließ dieses angenehme Gefühl nach, und ein nagendes Verantwortungsbewußtsein trat an seine Stelle.
»Was ist los, Sartaj?« fragte Majid Khan.
Sie standen auf Majids Balkon und warteten auf das Abendessen. Sartaj trank sein zweites Glas Black Label. Majid trug rote Shorts, er trank frisch gepreßten Limonensaft und sprach mit der ruhigen Autorität des alten Freundes, der sofort gemerkt hatte, daß Sartaj mißmutiger war als sonst. Er ließ nicht locker, bis Sartaj ihm die ganze Kamala-Pandey-Geschichte erzählte. »Attraktive Frau«, sagte Sartaj. »Prahlt mit ihrem Geld. Und jetzt nehmen ein paar Jungs ihr was davon weg.«
Majid strich sich mit Daumen und Zeigefinger die Schnurrbartenden hoch, wie immer, wenn er sich konzentrierte. »Sehr interessant«, sagte er. »Ich glaube aber nicht, daß es da wirklich ein Problem gibt.« Damit meinte er, daß es nicht weiter schwierig oder ungewöhnlich sein würde, die Sache aus den Unterlagen des Reviers herauszuhalten. Sie versprach gutes Geld, also war Diskretion möglich. Majid hob sein Glas. »Und wenn sie wirklich so heiß ist, Sartaj, dann könnte es doch Spaß machen, in dem Fall zu ermitteln.«
»Are, Majid, ich bin nicht an ihr interessiert.«
Majid straffte sich und wandte sich Sartaj zu. »Sie sagen doch, sie ist sexy, Yaar. Und sie geizt nicht mit ihren Reizen. Sie mag das. Also, was hat das damit zu tun, ob Sie sich für sie interessieren oder nicht? Nehmen Sie sich was davon.«
Das war von unbestreitbarer Logik: Ging eine Frau erst einmal fremd, war sie auf jeden Fall zu haben. Erpresser nutzten ihr Wissen um eine Affäre manchmal dazu, sich selbst zu bedienen, sich ein Stück von dem Kuchen abzuschneiden. Kamala Pandeys Erpresser hatten es noch nicht versucht, aber wenn ihr das Geld ausging, würden sie es vielleicht tun. So funktionierte das Geschäft - es gab verschiedene Zahlungsarten. Sartaj spuckte über die Brüstung. »Ma meint, ich soll ihr helfen«, sagte er.
»Das ist ja klar.«
»Aber ...«
»Sie haben kein Interesse an dem Geld, Sie haben kein Interesse an der Frau.« Majid zuckte die Schultern. »Dann helfen Sie ihr nicht.«
»Ja, aber was ist mit diesen Erpresserschweinen?«
Majid grinste. Er kannte Sartaj nur zu gut. Egal, was sein jüngerer Kollege von Kamala Pandey hielt - die Erpresser haßte er wie die Pest. Es gefiel ihm nicht, daß sie in seinem Bezirk aktiv waren, in seiner Gegend, seinem Umfeld, seinem Mohalla. Maderchods, Bhenchods, am liebsten hätte er ihnen die Golis gequetscht und sich an ihrem Geschrei ergötzt. Majid kratzte sich unter seinen Shorts den Schenkel. Er empfand genauso, das sah Sartaj ihm an. Er vertrat die Theorie, daß alle wirklich guten Cops Söhne starker Frauen seien. Er hatte Sartajs Mutter einmal kennengelernt, und seine eigene Ammi 019 war ein winziger, verhutzelter Drache, der die Schwiegertöchter terrorisierte und für die Enkel noch immer Ehen arrangierte, ohne irgend jemanden zu fragen. Majid war der Meinung, eine Mutter, die ihr Haus in Ordnung hielt, die für Sauberkeit sorgte und klare Regeln darüber aufstellte, was richtig und was falsch war - eine solche Mutter erzog ihre Söhne zu guten Polizisten. Er verwies gern auf Kollegen, die er bewunderte, und erzählte von ihren Müttern. Majids Theorie hatte etwas für sich, fand Sartaj. Katekars Mutter beispielsweise war eine robuste, breithüftige Matriarchin gewesen. Noch Jahre nach ihrem Tod hatte Katekar voll Ehrfurcht von ihrem Zorn gesprochen.
Majid beugte sich vor, und sie stießen an. »Inspektor Sartaj Singh«, sagte er, »ich finde, wenn Ihre Ma es sagt, dann müssen Sie die Erpresser aus dem Verkehr ziehen.«
Sartaj mußte ihm recht geben. »Okay, ich rufe diese Pandey an«, sagte er. »Nach dem Essen.«
Bei Tisch beobachtete Sartaj Majids und Rehanas Geplänkel. Sie stritten sich darüber, ob seine oder ihre Eltern exzentrischer seien. Farah und Imtiaz kicherten. Die Geschichten, die Majid von Rehanas Mutter erzählte, kannte Sartaj schon, aber er lachte trotzdem darüber. Rehana ging zärtlich mit ihren Kindern um, und Sartaj konnte sich nicht vorstellen, daß aus Farah und Imtiaz jemals gute Polizisten werden würden. Rehana war zweifellos eine gute, liebevolle Mutter, aber sie beanspruchte nicht den altmodischen Platz im Leben ihrer Kinder, von dem Majid redete. Sie war ihre Freundin. Und die beiden waren viel
Weitere Kostenlose Bücher