Der Pate von Bombay
Arrestzelle der Polizeiwache festgehalten. In dem drei mal drei Meter großen Raum befanden sich eine dreckige Matratze, ein Tonkrug mit ungefiltertem Leitungswasser, ein stinkendes Loch im Boden als Latrine und ich. Parulkar sorgte dafür, daß ich allein blieb, mit keinem meiner Jungs Kontakt hatte, von denen der eine oder andere vor Antritt seiner Haft hier in der Arrestzelle saß, daß ich weder mit Freund noch Feind in Berührung kam. Ich wurde mit einer Kapuze über dem Kopf und Fuß- und Handschellen zum Gericht gebracht, in einem Jeep mit fünf einsatzbereiten Wachen. »Sie sind unser Special Guest«, verkündete Parulkar. »Unser VIP-Gast.« Diese Fahrten zum Gericht waren die einzige Gelegenheit, bei der ich die Sonne spürte, trotzdem hatte ich selbst da Angst, denn falls es zu einer inszenierten Schießerei kommen würde, dann auf einer dieser Fahrten. Es würde heißen: Gaitondes Jungs haben versucht, ihn zu befreien, Gaitonde hat versucht zu fliehen, also mußten wir ihn erschießen. Ich hatte jahrelang in der Gesellschaft meiner Jungs und der Sicherheit ihrer Waffen gelebt, jetzt mußte ich wieder lernen, was es heißt, wirklich allein zu sein. Tag für Tag erwachte ich, hörte das Summen der Neonröhre draußen im Flur und rechnete damit zu sterben. Ich lebte schon so lange in der Nähe des Todes, doch jetzt war mir, als bewegte ich mich am Rand einer enormen Kluft, als läge zwischen dem Sonnenlicht und dem Abgrund nur ein kurzer Stoß von einem von Parulkars Männern. Jeden Abend schlief ich mit dem Gedanken ein, daß ich möglicherweise nicht wieder aufwachen würde.
Und jeden Tag wurde ich verhört. An den Tagen, an denen Majid Khan oder einer der anderen Inspektoren die Vernehmung durchführte, dauerte sie nicht lang, wir tranken Tee, und ich erfand Geschichten über tote Scharfschützen. Sie drängten, stellten abrupte Fragen, versuchten mich bei Widersprüchen und Fehlern zu ertappen. »Gestern haben Sie aber behauptet, Sandeep Aggarwal hätte Bada Badriya das Geld im Juni gegeben, wie kann er dann seine Schulden im April bezahlt haben?« Sie waren clever, aber nicht so clever wie ich, und es machte mir Spaß, ihnen meine Märchen aufzutischen. Ich hatte ein sehr gutes Gedächtnis, behielt die Zusammenhänge zwischen meinen erfundenen Geschichten im Gedächtnis, und so blieb alles stimmig, was sie gleichermaßen frustrierte wie faszinierte. Der Vernehmungsraum mit seinen Fenstern, den Baumwipfeln vor den Scheiben und der frischen Luft war ein geradezu lauschiges Plätzchen im Vergleich zu meiner stickigen Zelle, in der man sich lebendig begraben fühlte. Und bei all ihrer Polizistenneugier und ihrem dringenden Wunsch, alles zu erfahren, rührten sie mich doch nie an. Sie mußten an ihre Zukunft, ihre Karriere denken. Falls meine Freunde von den Rakshaks tatsächlich die Minister von morgen waren und ich diese kleinen Polizisten in schlechter Erinnerung behielt, konnten sie gleich morgen nach Auranagabad versetzt werden. Also behandelten wir einander wie Männer, und sie brachten mir gutes Essen aus dem Hotel gegenüber, Paan und saubere Kleider. Und gegen meine Magenschmerzen, die mit dem ersten Tag meiner Untersuchungshaft begonnen hatten, brachten sie mir Pfefferminztabletten und Tamarindensaft.
Wenn Parulkar die Verhöre leitete, sah die Sache allerdings ganz anders aus. Es war immer abends. Er saß in einem Armsessel, hatte die Schuhe abgestreift, war ganz locker. Ich mußte mich in die Mitte des Raums stellen, direkt unter die Hängelampe, und zwei seiner Inspektoren standen hinter mir. Er stellte seine Fragen, als unterhalte er sich mit einem Freund über einen gemeinsamen Ausflug nach Lonavla am kommenden Wochenende, ruhig und entspannt. Doch dann kamen die Schläge, plötzliche, auf meine Waden niederprasselnde Schläge, unter denen ich vorwärts stolperte, wuchtige Hiebe auf den Rücken, die mir den Atem nahmen. Wieder und wieder wurde ich auf die Knie gezwungen, und wenn ich keuchend auf dem Boden hockte, haßte ich ihn. Sie hoben mich jedesmal auf, und er begann von neuem. Fragen, Fragen. Sein Gesicht war im Dunkel jenseits des Lampenscheins verborgen, sein Bauch mir entgegengestreckt. Ich hielt durch. Was ich nicht ertrug, war die Schmach der knallenden Katzenköpfe auf meinem Hinterkopf, dieser Schläge, die mir die Tränen in die Augen trieben, des in meinem Innern aufgleißenden Lichts, das mich ganz benommen machte. Wenn Majid Khan bei einem von Parulkars Verhören dabei war,
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