Der Pate von Bombay
gebunden, so daß sie ein wenig aussah wie die Rani von Jhansi. »Hallo«, sagte sie, »kommen Sie rein.«
»Hallo«, sagte Sartaj. Das Wohnzimmer war mit Pappkartons vollgestellt, aber blitzsauber. Mary mußte den ganzen Tag geschuftet haben, doch sie wirkte entspannt und munter. »Sie haben ja wieder Strom.«
»Jana hat einen Freund beim BSES. Ich habe die letzten Rechnungen bezahlt, und der Freund hat den Strom wieder anstellen lassen.«
Jana war der praktische Typ Frau; natürlich hatte sie einen Freund beim BSES, der dafür sorgen konnte, daß man schon nach wenigen Tagen Strom hatte und nicht erst nach einem oder zwei Monaten. Laute Filmi-Musik tönte aus dem Schlafzimmer in den Flur hinaus. »Jana ist mit den Schuhen zugange?«
Mary nickte und zwinkerte Sartaj zu. »Und mit den Kleidern. Alle zwei Minuten regt sie sich furchtbar auf, weil Jojos Sachen ihr zu klein sind. Kommen Sie.« Sie ging an Sartaj vorbei und rief: »Jana! Jana!«
Jana schien völlig in ihr Tun vertieft. Sie begrüßte Sartaj mit einem knappen Nicken und einem »Hallo« und führte ihn dann ins Arbeitszimmer. »Hier haben wir als erstes saubergemacht«, sagte sie, »weil wir die ganzen Papiere und Akten wegwerfen wollten.«
»Wir hatten schon damit angefangen«, sagte Mary, »aber dann hat Jana was gefunden.«
Sie waren hochzufrieden mit sich, weil sie Sartaj davon berichten konnten, aber sie freuten sich auch über den Fund selbst. »Was denn?« fragte Sartaj mit genau dem richtigen Maß an Spannung.
Jana nahm einen Umschlag vom Aktenschrank, holte ein Foto heraus und hielt es mit einer schwungvollen Bewegung hoch. »Das hier.« Ein Foto. »Und das.« Noch ein Foto.
Sartaj hielt ihre Hand fest. Ein Mädchen. Ein Mädchen in Modelpose, Blick über die Schulter. Nicht übermäßig attraktiv.
»Das war in der untersten Schublade von Jojos Schreibtisch«, sagte Mary. »Unter ein paar Rechnungen.«
»Hm.« Sartaj versuchte sich zu erinnern, ob er die Bilder gesehen hatte, als er mit Katekar das Büro durchsucht hatte. Das Mädchen hatte nichts Besonderes an sich, nichts, was man im Gedächtnis behalten hätte. »Und?«
Jana wunderte sich. »Erkennen Sie sie nicht?« Sie hielt das andere Foto hoch.
Sartaj griff danach. Es war eine Porträtaufnahme des Mädchens, mit offenem Haar und sehnsüchtigem Blick. Er drehte es um. Auf der Rückseite stand in sauberer Schrift der Name: Jamila Mirza. Er sagte Sartaj nichts. »Wer ist das?«
Jana und Mary sahen ihn mit jener mütterlich-duldsamen Miene an, die Frauen angesichts männlicher Dummheit aufzusetzen pflegen. Jana hielt ein Blatt Papier hoch. »Hier ist eine Liste mit Geldbeträgen, Zahlungen wahrscheinlich, über Monate und Jahre. Und Kopien von einem Paß, hier, dasselbe Mädchen. Außerdem Kopien von Flugtickets nach Singapur. Sie war oft dort, zum Teil jeden Monat. Das war nicht irgendein Mädchen. Das war eine feste Freundin.«
»Daß Jojo Gaitonde Mädchen geschickt hat, wissen wir. Sie wird eine davon gewesen sein.«
»Aber wissen Sie, wer sie ist?« fragte Jana.
»Jamila Mirza?«
»Das war sie mal. Dann wurde sie Zoya Mirza.«
»Die Miss India? Die Filmschauspielerin?«
»Genau die.«
Sartaj sah die Ähnlichkeit, aber er blieb skeptisch. Er zeigte auf Jamila Mirzas Taille. »Die ist zu dick.«
»Fettabsaugung«, sagte Jana. »Vielleicht wurden auch die untersten Rippen herausgenommen.«
Mary strich mit dem Finger über das Porträt. »Auf jeden Fall hat sie sich die Nase richten lassen. Und der Haaransatz ist korrigiert worden.«
»Am Kinn ist auch was gemacht worden«, sagte Jana. » Auf dem anderen Bild ist es länger. Und der Kiefer ist schmaler geworden. Also, wir haben die frühere Zoya gefunden, und jetzt bekommen Sie sie. Sie müssen uns aber sagen, was weiter mit ihr passiert, okay? Sie müssen uns alles sagen, was Sie herausfinden. Versprochen?« Sie war mit Sicherheit eine langjährige treue Stardust- Leserin, diese Jana, gierig nach pikantem Starklatsch.
»Sind Sie sicher, daß das Zoya Mirza ist?«
»Ja«, antworteten beide gleichzeitig.
Sie sprachen mit der Gewißheit der Expertinnen. Auf dem Gebiet kannten sie sich aus, und Sartaj mußte ihnen glauben. »Erstaunlich«, sagte er. »Ich hätte das nicht gemerkt.«
Mary lachte und berührte ihn am Handgelenk. »Schon gut«, sagte sie. »Männer sehen so was nicht.«
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I ch wurde an einem Donnerstagnachmittag festgenommen. Sie holten mich zu Hause ab, in
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