Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
Triumphen war er ein Sieger gewesen. Er hatte die Gesetze der Wahrscheinlichkeit überlistet, sie außer Kraft gesetzt. Liebe, Heimweh und Bedauern strömten bittersüß in Sartajs Mund, Nase und Augen, und er mußte das Telefon ein Stück weghalten, damit Iffat-bibi nichts von dieser Gefühlsaufwallung mitbekam.
    »Sartaj?«
    »Ja, Bibi. Unglaublich, der alte Mann!«
    »Bemerkenswert. Aber sagen Sie's nicht Ihrer Mutter, ja?«
    »Nein.«
    Später fragte sich Sartaj, ob Ma es nicht schon wußte. Sie und Papa-ji hatten ihre Schwierigkeiten miteinander gehabt, ihre Schweigepausen, die Sartaj nicht hatte deuten können. Er hatte laute Stimmen hinter verschlossenen Türen gehört, und einmal hatte der Streit drei Tage gedauert, aber warum er angefangen hatte und wie er endete, hatte Sartaj nie erfahren. Doch das gab es in jeder Ehe, und die beiden waren einander mehr als vierzig Jahre lang treu ergeben gewesen. Vielleicht hatte Ma von Papa-jis Pferden gewußt, es aber nicht wissen wollen. Vielleicht hatten sie nur so miteinander glücklich sein können. Ob Ma sich gewundert hatte damals an Sartajs Geburtstag, als Papa-ji ihm den größten und teuersten Metallbaukasten mitbrachte, den es je gegeben hatte? Papa-ji hatte Sartaj auf die Schultern gehoben, und Sartaj hatte ihm nachgeplappert, als er unter den Gästen die Runde machte und jedem sein Hallo-ji sagte, und alle hatten fröhlich gelacht. Vielleicht hatte eines seiner Pferde an dem Tag gewonnen. Er und Sartaj hatten am Abend noch lange zusammengesessen und ein rot-grünes Haus mit einer hohen Mauer darum gebaut, und Ma hatte neben ihnen gekauert und ihnen gezeigt, wo der Hof und der Haupteingang hin sollten. Papa-ji wollte eine Fahnenstange aufs Dach setzen, aber Ma meinte, dann würde das Haus wie ein Regierungsgebäude aussehen. Papa-ji und Sartaj arbeiteten konzentriert, sie fügten zum Schluß sogar noch ein Schwingtor und eine Hütte für den Chowkidar hinzu, und Sartaj durfte aufbleiben, bis alles fertig war.

    Am nächsten Morgen wartete auf dem Revier eine Nachricht von Mary auf Sartaj: »Kommen Sie morgen abend in die Wohnung in der Yari Road.« Das war alles. Sartaj drehte den Zettel befremdet um, faltete ihn dann sorgfältig zusammen und steckte ihn ein. Er war froh, daß Kamble ihn nicht gesehen hatte, sonst hätte er mindestens einen halben Tag lang sein anzügliches Grinsen und seine Witze über Ghochi und merry Mary und private Verabredungen ertragen müssen.
    Den ganzen Nachmittag fuhr Sartaj von einem Telefonkabinenbetreiber zum nächsten und erntete wie erwartet nur verständnislose und erstaunte Blicke. Die Besitzerin eines Ladens in der Nähe von Film City, eine Frau in den Sechzigern mit orangefarbenem Haar, schob sich ein Paan in den Mund und redete Klartext: »Ja, der Anruf war erst vorgestern, Baba, aber Sie sehen ja, wie viele Leute hier telefonieren. Ich schau mir doch nicht die Gesichter an. Die Leute kommen rein, telefonieren und zahlen. Bas. Ich erinnere mich nicht mal mehr an die von heute.« Sie beugte sich vor und spähte auf den elektronischen Zähler auf der Theke. »Hundertdreißig Anrufe waren's heute schon. Dabei ist abends am meisten los.« Sie sah schrecklich aus, aber sie sagte die Wahrheit.
    »Einen guten Umsatz machen Sie«, sagte Sartaj.
    »Nach Hause telefonieren muß jeder.«
    Eine kleine Schlange wartete vor ihren beiden Telefonen, Handwerker, kräftige, stoppelbärtige Punjabis. Sie waren von dem Laden drei Türen weiter, wo sie Regale bauten, herübergekommen und taten so, als würden sie nicht zuhören. Daß ein Sikh Polizist in Bombay war, interessierte sie, aber sie hatten zuviel Angst vor einem Polizei-Inspektor, um ihn anzusprechen. Ihre Familien lebten vermutlich in Gurdaspur oder Amritsar, und sie hatten gelernt, vorsichtig zu sein.
    Insgesamt klapperte Sartaj neunzehn Telefonkabinenbetreiber ab, und überall telefonierten Männer und Frauen quer durch die Stadt und durch das Land. Keiner konnte sich an zwei Männer unter den Tausenden erinnern. Um sieben machte Sartaj Schluß und fuhr in die Yari Road. Es herrschte dichter Verkehr, und bis er auf der anderen Seite der Unterführung war, verblaßte das grandiose Farbenspiel der Dämmerung bereits. Das Licht im Aufzug ging nicht, und Sartaj mußte nach den Knöpfen tasten. Doch bei Mary brannte Licht. Sie öffnete die Tür zu einem hell erleuchteten Wohnzimmer und strahlte Sartaj an. Sie hielt einen Staubwedel in der Hand und hatte sich einen Chunni um den Kopf

Weitere Kostenlose Bücher