Der Pate von Bombay
war jeden Tag in der Arrestzelle, eskortierte mich von hier nach da, brachte mir Essen und Wasser und Batterien für mein Radio und außerdem Berichte, Fragen und Bitten von der Company. Wir setzten ihn zunächst nur zögernd ein, doch er nahm weiteres Geld von uns, und bald war er unser Mann. Gegen Ende meiner Untersuchungshaft hatte ich durch ihn und meinen Anwalt das Gefühl, meine Company wieder selbst zu leiten. Die Verbindung funktionierte einwandfrei.
Doch all die übermittelten Botschaften bewahrten mich nicht vor der nächtlichen Stille in meiner Zelle, vor den Schritten auf der fernen Treppe, die auf meinem Schädel herumzutrampeln schienen, so daß ich mich unbehaglich wand und nicht schlafen konnte. Nachmittags lag ich schweißgebadet auf dem kalten Steinfußboden und versuchte mich zu kühlen. Ich hatte es verlernt, allein zu sein. Ich hatte so lange und so nah mit meinen Jungs, meiner Frau und meinem Sohn zusammen gelebt, daß ich in dieser Zelle den Eindruck hatte, ins Leere zu fallen, in Schattenschwaden endlos dahinzutreiben. Man hatte mich am Ende des Korridors hinter einer nicht einsehbaren Biegung untergebracht, durch eine Zwischentür zusätzlich von den anderen Gefangenen getrennt. Ich war allein. Im Radio knisterte und knackte es, und ich brachte die Antenne mit tausend winzigen Korrekturen in die richtige Position, hielt das Gerät an die Wand, die den Schall verstärkte. Und wenn ich ihm dann Musik entlocken konnte, wurde ich von nostalgischen Gefühlen überschwemmt. Zum dünnen, knisternden Gedudel von Sechziger-Jahre-Songs versetzte ich mich in mein Leben vor zehn Jahren, vor einem Monat zurück. Und wenn die Lieder aufhörten, spürte ich, wie sich, wimmelnden Parasiten gleich, Fragen in meinem Kopf zu regen begannen: Was war in der Vergangenheit falsch gelaufen, daß ich nun hier saß? Warum war ich nicht mächtiger, berühmter als Suleiman Isa? Würde der Waffenschmuggel meine Position stärken? Die Zusammenarbeit mit Bipin Bhonsle und seinem Sharma-ji gab mir das Gefühl, an einem immensen Spiel teilzunehmen, einem so großen Spiel, daß ich mich darin wie ein Zwerg ausnahm. In diesem gewaltigen, wirbelnden Spiel waren Bhonsle und Sharma-ji meine Verbündeten, ich war auf sie ebenso angewiesen wie sie auf mich. Aber wozu das alles? Was war der Nutzen dieses Krieges? Warum? Warum? Dieses Warum ging mir endlos durch den Kopf, immer im Kreis, wie eine Ratte, die in einem Metallkasten eingeschlossen ist. Warum? Mit seinen hastenden Krallen hinterließ dieses Warum ein Loch, eine brennende, schmerzhafte Leere. Das einzige, was diesen Hohlraum ausfüllen, ihn bis zum nächsten Morgen heilen konnte, war Liebe.
Jede Woche besuchte mich Subhadra mit meinem Sohn. Sie wäre an sich jeden Tag gekommen, doch Parulkar benutzte ihre Besuche als Druckmittel. Selbst diesen wöchentlichen Besuch gestattete er erst, nachdem ich angefangen hatte, ihm Informationen zu liefern, und er sagte, wenn ich besser mit ihm kooperiere, dürfe ich Frau und Kind öfter sehen. Ich versorgte ihn mit Bagatellen, und er hielt sich für gerissen. So spielten wir unser Spiel, Parulkar und ich, und ich wartete von einem Montag zum nächsten auf meine Familie.
Ich liebte meinen Sohn. Er hieß Abhijaya, und er machte mich völlig hilflos. Bisher hatte ich begehrt oder war abhängig gewesen und hatte das für Liebe gehalten. Ich hatte nicht gewußt, wie sich Liebe anfühlt. Wenn in Filmen von Liebe die Rede gewesen war, wenn es geheißen hatte, wahre Liebe bedeute, nichts für sich selbst zu wollen, sondern nur das Glück des anderen zu wünschen, hatte ich das als poetisches Gelaber über schwache Männer und Frauen betrachtet, die nicht die Kraft hatten, sich zu nehmen, was sie wollten. Doch als ich nun dieses zappelnde Bündel im Arm hielt, wußte ich, daß alles stimmte. Ich spürte, wie mir eine unwiderstehliche sanfte Kraft die Brust aufbrach und in mich hineingriff, ein Glücksgefühl, das sich entlang der Wirbelsäule entfaltete und bis ins tiefste Innere hineinreichte, Nerven und Knochen durchdrang. Ich war gleichsam abwesend Vater geworden, wie nebenbei, doch so etwas wie diese sturmartige, intensive Verbindung zwischen diesem kleinen Balg und mir hatte ich noch nie erlebt. Er hätte alles mit mir tun dürfen, und ich hätte alles für ihn getan. Bei ihm mußte ich keine staatsmännische Erhabenheit wahren, keine Macht ausüben.
Subhadra jedoch sagte ich, sie müsse in diesen Drecklöchern voller Polizisten auf
Weitere Kostenlose Bücher