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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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tiefer, sank in die Erinnerung, in eine Dunkelheit, unter der eine massige Form aufragte, die mit vielen Stimmen sprach, und ich war ein fieberndes Kind in einem warmen Bett. Eine Frau lächelte mich an und zog mir die Decke bis unters Kinn hoch, sie berührte meine Stirn, und ich winkelte die Knie an und drehte mich auf die Seite, zu ihr hin.
    Ich zwang mich in den Wachzustand zurück, setzte mich auf. Ich war ein vielbeschäftigter Mann, für Tagträume hatte ich keine Zeit. Ich rief meine Jungs, ging die Pläne für die kommenden Woche mit ihnen durch, bat um Vorschläge, wie die Lebensbedingungen in den Baracken verbessert werden könnten, und hörte mir Beschwerden über Anwälte und Richter an.
    Nachmittags um drei traf ich mich mit Advani, dem Gefängnisdirektor, in seinem Büro. Er saß unter dem Nehru-Bild und hielt mir in seinem gepflegten Hindi Vorträge.
    »Das war wirklich ein unseliger Vorfall«, sagte er. »Wir müssen zusammenarbeiten, um so etwas in Zukunft zu vermeiden, denn die Folgen sind für uns beide höchst unerfreulich.« Ich sah ihn nur an. Ich ließ ihn reden, hielt seinem Blick stand, schaute zurück. Nach einer Weile wurde ihm unbehaglich zumute, und er schaute weg, während er weiterredete. Doch ich wandte den Blick nicht von seinem runzligen kleinen Schädel ab, und schließlich wurde er langsamer, räusperte sich und verstummte. Der Deckenventilator tickte weiter vor sich hin, und Advani versuchte meinem unverwandten Blick zu trotzen, doch dann gab er auf. Er schwitzte.
    »Kann ich etwas für Sie tun, Advani-saab?«, fragte ich ganz sanft. »Kann ich etwas für Ihre Familie tun?«
    Er schüttelte langsam den Kopf und hustete. Endlich gelang es ihm zu sprechen. »Was kann ich für Sie tun, Bhai?«
    »Ich bin froh, daß wir - wie sagten Sie? -, ja genau, kooperieren. Also: Die Männer in der Baracke langweilen sich, ihnen fehlt es an Informationen und Unterhaltung. Deshalb bekommen wir heute nachmittag einen Fernseher geliefert. Wir benötigen dafür einen Stromanschluß und ein Kabel. Und außerdem brauchen wir einen Schrein.«
    »Aber das ist doch vortrefflich! Religion und Information - beides macht die Männer zu besseren Bürgern. Die Genehmigung dafür bekommen Sie natürlich. Ein kluger Gedanke.«
    Er versuchte eher sich selbst zu überzeugen, als mir zu schmeicheln. Beim Anblick seiner langen, zuckenden Hände auf dem Schreibtisch, seines matten, schiefen Lächelns überkam mich Ekel. Wie schwach ist doch der Mensch, wie erbärmlich. Wie war dieser Mann zum Direktor geworden? Er hatte zweifellos einen Onkel, der im Staatsdienst tätig war, und einen Cousin, der einem MLA nahestand. Der Staatsdienst war voll von solchen Leuten. Sie waren das Material, mit dem wir auf dieser Welt arbeiten mußten.
    »Der Gedanke kommt von Ihnen«, sagte ich. »Sie haben das vor drei Wochen selbst angeregt: Sie wollten die Haftbedingungen verbessern. Ich liefere nur die Details.«
    Er brauchte eine halbe Minute, um das zu begreifen, dieser eselige Maderpat. »Ach ja, ja«, sagte er. »Danke, Bhai.«
    »Kann ich irgend etwas für Sie tun, Advani?« fragte ich, jetzt ziemlich scharf. »Sagen Sie es mir.«
    »Nein, Bhai. Wirklich nicht.«
    »Geld?«
    Das versetzte ihn in Panik. Er sah sich in seinem Büro um, als versteckte sich womöglich jemand hinter dem Schrank. Ein zu offensichtlicher Schachzug meinerseits, zu direkt. Jeder will Geld. Er würde es nehmen, aber ich war ein großer Name, und eine offensichtliche Verbindung zu mir würde seine Karriere ruinieren. Er würde darüber nachdenken müssen und ein wenig sanfte Nachhilfe benötigen.
    »Oder etwas anderes? Eine Empfehlung bei Ihrem Chef? Eine Zulassung an einer guten Universität für Ihre Tochter? Ein zusätzlicher Telefonanschluß bei Ihnen zu Hause?«
    »Gar nichts«, sagte er. »Ich arbeite gern mit Ihnen zusammen, damit hier im Gefängnis alles glatt läuft. Sonst nichts.« Seine Hände lagen jetzt in seinem Schoß, und als er sagte, er wolle nichts, hielt er sich sehr gerade, doch in seinen Augen sah ich diesen Schmerz glitzern, der entsteht, wenn man die Erfüllung eines geheimen Herzenswunsches angeboten bekommt, sich aber nicht traut zuzugreifen. Ich sah es nicht zum ersten Mal, dieses sehnsüchtige Zucken, dieses Zaudern vor dem eigenen Verlangen. Ich hatte die Macht, Männern und Frauen zu geben, was sie wollten, einen wie auch immer gearteten schmutzigen kleinen Traum, den sie ihr Leben lang in einem geheimen Winkel ihres Herzens

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