Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
Sonntagvormittage fühlten sich die Moslems und Christen heruntergesetzt, sie wollten ihre eigenen Sendungen sehen. Die Tamilen und Malabaren wiederum bestanden darauf, um Mitternacht ihre Hot Songs anschauen, und die Marathen forderten regelmäßig Spielfilme. Wir versorgten die moslemischen Häftlinge an ihren Festtagen mit ganzen Ziegen und sicherten ihnen zu, daß wir an ihren Fastentagen alles nach ihren Wünschen regeln und verhindern würden, daß die Gefängnisangestellten ihnen in die Quere kamen. So waren alle zufrieden. Advani führten wir außerhalb des Gefängnisses seine Äpfelchen zu, dafür war er uns drinnen gefällig, paßte sich uns an. Mein Sohn wuchs, lernte laufen, und bei seinen wöchentlichen Besuchen spielte ich in Advanis Büro mit ihm, hielt ihn im Arm, sog den frischen Duft seines Scheitels ein, während er zappelte und lachte und in Sprachen mit mir redete, die ich nicht verstand. Auch ich veränderte mich während dieser Zeit. Ich war ruhiger und nachdenklicher geworden, interessierte mich plötzlich für das Weltgeschehen. Ich las regelmäßig Zeitung, schaute mir die verschiedenen Nachrichtensendungen und am Sonntag die politischen Debatten im Fernsehen an und sah die amerikanischen Filme im Original. Ich bildete mich im Gefängnis sozusagen weiter, eignete mir Wissen über die lange Geschichte meines Landes an. Doch trotz meiner Nachdenklichkeit, oder vielleicht gerade deshalb, entwickelte ich ein peinliches Leiden: Ich hatte Hämorrhoiden. Eine Unpäßlichkeit, keine wirkliche Krankheit, aber ich litt gehörig. Ich erhob mich zitternd von der Toilette, mir war schwindlig vor Schmerzen, angesichts des hellroten Blutes packte mich Übelkeit. Ich zog Ärzte zu Rate, veränderte meine Ernährung, nahm Kräuter ein, die mir ayurvedische Weise verordnet hatten, und dennoch krümmte ich mich und preßte und litt.
    »Du bist zu angespannt«, sagte Jojo. »Dein ganzes Leben ist eine einzige Anspannung. Und das Problem ist, daß deine gesamte Anspannung in deinem Gaand sitzt. Du mußt dich entspannen.«
    »Hör mir mal zu, mein kluger Guru«, sagte ich. »Ich bin ein Don, ich sitze im Knast, einige Leute versuchen mich hier festzuhalten, und einige andere versuchen mich umzubringen. Ich soll mich entspannen? Wie in aller Welt soll ich das denn anstellen?«
    »Du meinst immer, du hättest so ein schweres Leben.«
    »Fang nicht wieder damit an. Nehmen wir mal an, ich würde dir zustimmen: Okay, ich muß mich entspannen. Was soll ich tun?«
    Sie brachte mich dazu, regelmäßig Übungen zu machen, und zwei Wochen später führten wir Yoga im Gefängnis ein. Advani gefiel die Idee. Er lancierte einen Bericht darüber in der Bombay Times , mitsamt Farbfoto und dem Kommentar, er sei der »progressivste Gefängnisdirektor unserer Zeit«. Bunty und meine Jungs waren glücklich, weil zwei der Yogalehrer Frauen waren, die sich eine ganze Stunde lang vor ihren Augen bogen und reckten und drehten. Aber ich sagte ihnen, sie sollten ihr Gekicher lassen, sich konzentrieren und tun, was man ihnen sagte. Ich mußte auf das Yoga hoffen und vertrauen, denn mein Gaand brannte wie die Hölle. Und es wirkte tatsächlich. Ich fühlte mich ruhig und entspannt. Ich entspannte mich nicht nur in den Muskeln, sondern auch tief in meiner Seele. All das Einatmen und Ausatmen löste einen Knoten in meinem Innern. Ich will nicht lügen und behaupten, ich wäre von meinen Hämorrhoiden völlig geheilt gewesen, aber wenigstens zu siebzig Prozent.
    »Siehst du, du mußt nur auf mich hören«, sagte Jojo, als ich ihr das erzählte. »Siebzig Prozent sind eine Menge.«
    »Ja. Jetzt habe ich nur noch ab und zu das Gefühl, daß ich riesige Rasierklingen scheiße.«
    »Für einen harten Mann klagst du ganz schön viel, Gaitonde. Hast du auch nur die geringste Vorstellung davon, wie es ist, ein Kind zu gebären?« Und dann war sie nicht mehr zu halten. Es war eins ihrer Lieblingsthemen: daß die ganze Welt litt und die Frauen am meisten und daß dem Leiden der Frauen keine Beachtung geschenkt würde. »Die verdammten Männer erklären das Leiden zur Pflicht der Frauen«, sagte sie. »All die leidenden Mütter in den Filmen. Und die Frauen sind selbst Chutiyas, weil sie es glauben.« Am Anfang unserer Freundschaft hatte ich versucht, ihr zu widersprechen. Ich hatte gefragt: Glaubst du denn, Männer leiden nicht? Ich könnte dir da ein paar Geschichten von Männern erzählen, die völlig zerrüttet und sterbenskrank ihr Leben lang für

Weitere Kostenlose Bücher