Der Pate von Bombay
Fernsehen Sendungen über Depressionen gesehen. Sie sagte, ich solle mich um meinen eigenen Kram kümmern. »Lies meine Drehbücher«, sagte sie. »Vielleicht lernst du ja noch etwas über die Frauen, Gaitonde.«
Ich las kein Drehbuch mehr, aber ich unterhielt mich weiterhin mit ihr. Sie hatte sich von Anfang an geweigert, mich im Gefängnis zu besuchen. »Wir können nur so miteinander reden, weil wir uns noch nie begegnet sind, Gaitonde. Verstehst du das denn nicht?« Ich wußte, daß sie keine Scheu vor Männern und vor Sex hatte. Im Gegenteil, sie nahm Männer, sie wählte sie selbst aus, und dann trieb sie es mit ihnen. »Warum müssen denn immer die Männer die Frauen aussuchen, ihnen nachstellen und sie nehmen? Ich verdiene mein eigenes Geld, ich sorge selbst für mich, ich will meinen eigenen Spaß. Ich schäme mich nicht für das, was ich will.« Sie erzählte mir das, als wir schon lange keine Geheimnisse mehr voreinander hatten, und sie sagte es ohne Angst, ohne Scham. Als sie es aussprach, zuckten mir zugleich Erschrecken und Erregung die Kehle hinauf, so als wäre ich gerade im Dunkeln von einem Dach gesprungen.
»Das ist ja ... das ist ja ungeheuerlich, Jojo«, flüsterte ich eindringlich in mein Handy.
»Warum denn?« blaffte sie zurück. »Du kannst es mit deinen kleinen Jungen im Gefängnis treiben, weil du ein Mann bist und Erleichterung brauchst, und das soll nicht ungeheuerlich sein, aber mein Verhalten schon? Daß ich nicht lache.« Natürlich sagte ich ihr, daß das etwas anderes sei, schließlich sei sie eine Frau. Worauf sie erwiderte: »Genau, ich bin eine Frau, und Frauen können zehnmal soviel Vergnügen dabei empfinden wie Männer. Weißt du das denn nicht?« Das stimmte natürlich. Es war allseits bekannt.
Ich sagte: »Deshalb gehören die Frauen ja auch eingesperrt, diese Randis.«
Sie prustete los und sagte: »Aber mein guter Bhai, du bist derjenige, der eingesperrt ist, nicht ich. Ich bin frei.« Sie war frei. Sie nahm sich Männer und bezeichnete sie als ihre Thokus 630 . Sie brachte mich mit den Geschichten über diese Kerle zum Lachen - wie sie weinten, wenn Jojo sie verließ, wie groß ihr Ding war, welche Eitelkeiten sie hatten. Und sie lehnte es weiterhin hartnäckig ab, sich mit mir zu treffen. »Weder jetzt«, sagte sie, »noch später. Ich will nicht einer deiner Thokus sein und du nicht meiner. Wir sind Bidhus, Bidhu.« Es stimmte. Wir waren Freunde.
Im Mai trat der TADA außer Kraft, doch ich blieb im Gefängnis. Für die anderen Bürger existierte das Gesetz nicht mehr, doch da man gegen mich Anklage erhoben hatte, als es noch galt, war ich ihm nach wie vor ausgeliefert. Über meinen Fall sollte gemäß den Bestimmungen des TADA entschieden werden, der jedoch in Wirklichkeit kein Gesetz war, sondern ein willkürlicher Erlaß. Ich verfluchte meine Anwälte und drohte, mir neue zu nehmen. Leben wir denn in einer Diktatur? fragte ich. Habe ich als Bürger keine Rechte? Was seid ihr eigentlich, Anwälte oder Bhangis? Warum zahle ich euch ganze Wagenladungen Geld?
Endlich, endlich brachten sie meinen Fall dann vor den Bombay High Court und kämpften einen würdigen Kampf, der vom Sieg gekrönt war. Der Richter sagte, er werde mich gegen Kaution freilassen, allerdings unter der Bedingung, daß ich die Zeugen der Anklage nicht bedrohe oder auch nur versuche, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, daß ich die Stadt nicht verlasse und dieses und jenes mehr. Einverstanden, Euer Ehren, sagte ich, ich bin mit allem und jedem einverstanden. Und plötzlich war ich draußen. Ein Vormittag im Gericht, und dann war es vorbei, ich war auf der Schnellstraße unterwegs nach Hause. So einfach ging das. Plötzlich saß ich in meinem Schlafzimmer, Subhadra zu meiner Linken, und mein Sohn rannte um das Bett herum. Es war unglaublich still, und das Zimmer erschien mir riesig, viel größer, als ich es in Erinnerung hatte. Es waren einige Besucher gekommen, aber Kataruka hielt sie mir vom Leib. Er war ein alter Hase, was Gefängnisaufenthalte und Entlassungen betraf. Er beharrte darauf, daß eine Feier mit vielen Leuten und viel Lärm nicht das Richtige sei, auch wenn es zunächst passend erscheinen mochte. Und tatsächlich sehnte ich mich nach einem ruhigen Abend. Ich aß das Abendessen, das Subhadra mir servierte, brachte Abhi ins Bett. Nachdem sich die Tür hinter Kataruka und den anderen geschlossen hatte, streckte ich den Arm nach Subhadra aus. Sie schmiegte sich fügsam an mich, und dann erst
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