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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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lächerlich wenig Geld arbeiten und für Essen, das kein Hund anrühren würde. Aber sie hatte für jede von meinen Geschichten vier eigene auf Lager, und ich begann es zu genießen, ihr zuzuhören, denn irgendwo in ihren Leidensgeschichten steckten immer ein paar hübsche Details über sie. Ich wußte, daß sie in einem Dorf aufgewachsen und von ihrer Mutter großgezogen worden war; irgendwo gab es noch eine Schwester, mit der sie aber nicht mehr redete. Ihr Vater war früh gestorben. Als sie nach Bombay gekommen war, noch ein junges Mädchen, hatte sie nur Tulu und etwas Konkani gesprochen, kein Hindi, kein Englisch oder sonst etwas. Jojos Schwager war mit der jungen Jojo durchgebrannt, er hatte ihr erzählt, daß er einen Filmstar aus ihr machen würde, doch nachdem sie monatelang die Büros der Produzenten abgeklappert hatten, nötigte er sie, mit einem von ihnen ins Bett zu gehen. Er sagte, alle Mädchen müßten das tun, Kompromisse seien der Preis des Ruhms und Teil des Busineß, alle gingen Kompromisse ein. Sie hatte das mittlerweile auch begriffen und es getan, aber aus dem Film war nie etwas geworden. Dann war da ein anderer Produzent gewesen und wieder ein anderer. Ihr Freund hatte angefangen, sie zu prügeln. Sie sprach inzwischen fließend Hindi und etwas Englisch. Also lief sie fort. Der Freund fand sie und verprügelte sie. Sie brach ihm mit einem Stößel den Unterkiefer, danach ließ er sie mehr oder weniger in Ruhe. Aber sie mußte irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen. Sie mühte sich ab, hungerte, ging schließlich zu einem der Produzenten zurück, dann zu einem anderen, willigte in weitere Kompromisse ein. Doch jetzt behielt sie das Geld für sich und sparte. Sie trat in die Gewerkschaft der Tänzer ein und wirkte in ein paar Filmen bei großen Tanzszenen mit. Eine Weile hielt sie noch an ihrem Traum fest, eines Tages eine Schauspielerin zu sein, eine Mumtaz, die sich aus der Tanzgruppe zu den gigantischen Nahaufnahmen eines Stars hochgearbeitet hatte. Aber sie war nicht so dumm, lange daran zu glauben. Und sie war so klug, Angebot und Nachfrage zu erkennen: Sie kannte reiche Männer, und sie kannte junge Mädchen, die sich in der Stadt irgendwie durchschlagen mußten. So startete sie ihr Geschäft. Doch sie vermittelte nicht nur Sex. Einigen der Mädchen verschaffte sie auch Rollen. Und schließlich wurde sie selbst zur Produzentin. Mit eigenem Geld und einem finanziellen Beitrag von mir begann sie in jenem Jahr, die Produktion einer Fernsehserie zu planen. Es ging darin um zwei junge Mädchen, die sich in der Schule anfreundeten, die eine reich und der Liebling der Lehrer, die andere ein armes Findelkind, und dann zusammen in die Stadt zogen und endlos litten. Jojo ließ keinen Zweifel an der Art unserer Partnerschaft aufkommen.
    »Hör zu, Gaitonde«, sagte sie. »Wir machen hier ein Geschäft, nicht mehr und nicht weniger. Ich will sauberes Geld, in Schecks. Und keine Sperenzien. Ich schulde dir Geld, sonst nichts. Du hast es mir angeboten, ich habe dich nicht darum gebeten.«
    »Achcha, Baba, so ist es«, sagte ich. »Du schuldest mir nichts als Geld. Es ist einfach ein Geschäft.« Sie schickte mir das Drehbuch des Pilotfilms, und ich las es. Und wollte daraufhin nie wieder eins ihrer Drehbücher lesen. Bunty hatte recht gehabt: Welcher Mann wollte sich schon anschauen, wie in einer Szene nach der anderen Frauen wegen irgendwelchem Blödsinn heulen und sich dann in die Arme fallen? Jojo sagte ich, ihr Drehbuch gefalle mir. Wenn sie über dieses Herumgeheule eine Serie drehen wollte, wenn sich Frauen so etwas gerne anschauten, dann sollten sie es ruhig tun. Ich wußte, daß Jojo trotz ihrer Fröhlichkeit, trotz ihres unbeschwerten Gefluches Tage hatte, an denen sie nicht aus dem Bett aufstand, mit niemandem reden konnte, an denen ihr die ganze Welt wie ein Dschungel aus Asche vorkam, ein Kremationsgelände voll wandelnder Leichen. Sie stand diese düsteren Stimmungen nur durch, indem sie sich den Tod versprach. Das erzählte sie mir eines Morgens.
    »Ich sage mir dann immer, wenn es zu schlimm wird, bringe ich mich um. Die Tabletten habe ich griffbereit hier liegen. Und dann zähle ich mir alles Gute im Leben auf. Der Schmerz ist weiterhin da, aber ich weiß, daß er nicht ewig anhält, weil ich die Tabletten habe. So komme ich durch den Tag. Und dann durch den nächsten.«
    Sie machte mir angst. Ich versuchte sie zu einem Priester, einem Zauberer, einem Arzt zu schicken. Ich hatte im

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