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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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angestimmt hätte. Wenn man die hämmernden Schreiner, die neben dem Palast aufgestapelten Holzlatten und die tratschenden Frauen ausblendete, bot sich diese Landschaft, die von der untergehenden Sonne in ein sanftes gelbes Licht getaucht wurde, für traurigen Gesang geradezu an. Es gab Wiesen, Bäume und Berge, die oft als Filmersatz für die Himalaja-Gipfel hatten herhalten müssen. Sartaj suchte nach einer passenden Melodie für Kamble, doch ihm fielen nur fröhliche Dev-Anand-Songs ein: Main zindagi ka saath nibhaata chala gaya. 389 Und dann war die Angst wieder da, die Furcht vor der Bombe, sie lauerte irgendwo unter der Palastwand. Vielleicht war es auch nur die unterschwellige Angst, die sich einstellte, weil sie in Film City waren, nicht weit von der Stelle, wo mehrere Erwachsene und Kinder von der emsigen Leopardenriege des Parks getötet und gefressen worden waren. Von echten, sehr wilden Leoparden, nicht von Filmi-Tieren. Vielleicht hatte er deshalb Angst. Doch zugleich war er unerklärlich gut gelaunt. Alles ziemlich seltsam.
    »Kommen Sie, kommen Sie, bitte.« Vivek winkte sie vom Tor aus zu sich. »Madam wird jeden Moment am Set erscheinen. Wollen Sie bei der Aufnahme zusehen?«
    Im Innern des Palasts herrschte rege Betriebsamkeit. Unter den Gewölbedecken und hohen Bogenfenstern wuselten Männer herum, hämmerten und sägten. Sartaj stieg über Kabelrollen, ging um Dickichte aus Metallständern herum. Er mußte sich bücken, um unter einer Segeltuchabhängung hindurchzukommen, dann rief eine Stimme aus dem Lautsprecher: »Volle Beleuchtung!«, und Sartaj fand sich in einem mit Säulen versehenen Audienzsaal wieder, der in Gold und Grün erstrahlte. Vor den Säulen standen lebensgroße Statuen von Kriegern und Jungfrauen, und die Decke war von einem dichten Gitterwerk aus funkelndem Kristall überzogen. Außerdem gab es zwei riesige Kronleuchter, eine Schar in Seide gewandeter Höflinge und einen Thron. Sartaj schlängelte sich zwischen weiteren Crew-Mitgliedern zu einer Reihe von Klappstühlen hindurch, dann gab ihnen Vivek ein Zeichen: Warten Sie.
    »Das ist Johnny Singh«, sagte Kamble.
    »Wer?«
    »Der Regisseur.« Er meinte einen korpulenten Mann, der sich auf einem der Stühle niederließ und konzentriert auf einen Monitor blickte. »Und das ist der Kameramann, Ashim Dasgupta.«
    »Sie sind ja ein Filmexperte«, sagte Sartaj.
    »Die meisten der Mädels wollen zum Film, deshalb.«
    Tatsächlich wären wohl viele von Kambles Bar Balas 059 liebend gern Zoya Mirza gewesen. Sie hätten alles getan, alles riskiert, um hier zu sein. Jetzt, da ihn die grellen Scheinwerfer nicht mehr so blendeten, sah Sartaj, daß die Statuen nicht aus Stein, sondern aus bemaltem Gips waren. Die goldene Farbe auf den Säulen war dick und verklumpt. Das Kristall an der Decke war wahrscheinlich billiges Glas oder Plastik. Darüber, zwischen den Scheinwerfern, die an den wackeligen Laufstegen befestigt waren, sah er baumelnde Beine und spähende Gesichter. Doch aus alldem würde auf der Leinwand ein in überirdischem Glanz erstrahlender, perfekter Palast erstehen. Katekar wäre begeistert gewesen, dachte Sartaj, ihm hätten der schmutzige Boden und die billigen Juwelen an den Turbanen der Edelmänner gefallen.
    »Ruhe! Ruhe!« dröhnte es aus dem Lautsprecher, und in der plötzlichen Stille betrat Zoya Mirza die Szene. Sie kam von links hereingeschritten, doch sie hätte genausogut in einem duftenden Blütenregen aus dem Technicolor-Himmel herabgeschwebt sein können. Sie war sehr groß, schlank und muskulös, in einen schimmernden goldenen Umhang gehüllt und trug ihr sehr langes Haar offen, und beim Anblick ihres geschwungenen Halses stockte Sartaj der Atem.
    »Baap re«, flüsterte Kamble. »Mai re.« 387
    Ja. Sartaj glaubte wieder an den Zauber des Kinos. Sie sahen zu, wie Zoya Mirza mit dem Regisseur und zwei Assistenten sprach, wie Vivek sich an ihrem Haar und ihrem Gesicht zu schaffen machte. Eine Frau kniete sich hin und hantierte am Saum von Zoyas Rock herum, der gerade eben bis zum Knie reichte. Zwei weitere Schauspieler erschienen, ein älteres Paar in königlichen Gewändern, und nun redete der Regisseur mit ihnen und Zoya und unterstrich seine Worte mit eckigen Gesten. Kamble nannte flüsternd die Namen der Schauspieler, beschrieb ihren künstlerischen Werdegang, ihre Filmauftritte und Erfolge. Dann warf Zoya ihren Umhang ab, und Kamble verschlug es endgültig die Sprache. Sie offenbarte ein

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