Der Pate von Bombay
Dschungelprinzessinnen-Outfit, das Sartaj von Wandkalendern aus seiner Kindheit kannte, ein Bikinioberteil aus weichem rehbraunem Leder, das hinten geschnürt war, dazu einen passenden Rock, der vorne deutlich unter dem Nabel saß und sich ziemlich eng an ihre Hüften schmiegte. Der Maharaja und die Maharani nahmen ihre Positionen beim Thron ein, Zoya schritt ihnen entgegen, und Sartaj schnürte es angesichts der Rundungen ihrer Hüften die Kehle zu. Ja - der Palast war nur Fake, aber Zoya Mirza war es nicht. Natürlich hatten Mary und Jana recht von wegen all der komplizierten Prozeduren und Wunder der Technik, denen Zoya ihre erstaunliche, exquisite Schönheit verdankte, doch das war Sartaj egal. Zoya Mirza war künstlich, aber ihre Lüge war realer als die Natur. Sie war echt.
Folgende Szene sollte gedreht werden: Die Prinzessin, die nichts von ihrer königlichen Abstammung ahnte, war in die große Hauptstadt und an den hohen Hof gekommen, um nach einem geheimnisvollen Krieger zu suchen, der auf den wilden Hängen ihrer heimischen Berge um sie geworben hatte und dann verschwunden war. Nun befand sie sich also im Palast des Maharaja, der - was sie noch nicht wußte - ein Usurpator und der Mörder ihrer Eltern war. Es gab zwei Zeilen Dialog: »Wer bist du, Kanya 312 ?« und: »Ich bin die Tochter des Sardar Matho, der über den Wald westlich eurer Grenzen herrscht.« Die zweite Zeile, die zuerst gedreht wurde, war nach einer Dreiviertelstunde und acht Takes im Kasten. Zoya sprach die Worte, während sie die flache Treppe zum Thron hinaufschritt. Sie war heldenhaft. Dann gab es eine zwanzigminütige Pause, während der die Kameraposition gewechselt wurde. Vivek bot ihnen weiteren Tee und Plätzchen an. Madam wolle immer noch nicht gestört werden. Sie arbeite.
»Diese Geschichte erinnert mich an eine Fernsehserie«, sagte Kamble. »Wie hieß sie noch gleich? Mit all den Rajas und Ranis und Spionen und dem ständigen Doppelspiel?«
»Chandrakanta«, sagte Sartaj. »Eine gute Serie.«
»Das hier ist ein ganz anderes Kaliber«, sagte Vivek mit beträchtlichem Stolz. »Die Spezialeffekte in Chandra-kanta haben richtig billig ausgesehen. Wir fliegen für den Höhepunkt zwei Experten aus Hollywood ein. Außerdem haben mir die Drehbuchautoren gesagt, daß sie sich viel mehr an Bankim Chandra als an Cbandrakanta orientiert haben.«
»An wem?« fragte Sartaj nach.
»Das ist so ein alter bengalischer Autor«, sagte Vivek. »Er hat einen Roman mit dem Titel Ananda Math geschrieben.«
»Ich dachte, den hätten die Bengalen schon verfilmt«, sagte Kamble. Er kaute geräuschvoll Kokosnußplätzchen.
»Nie gehört«, sagte Sartaj. Es machte Spaß, am Set herumzustehen und über Aufnahmen, Spezialeffekte, Dialoge und alte bengalische Romane zu reden. Selbst Kambles Ungeduld war verflogen. Zoya Mirza zuzuschauen war mehr als ein Zeitvertreib, es war auf eine sehr tiefgehende Art beruhigend.
Der Gegenschuß auf den Maharaja erforderte nur zwei Takes. Dann gab es wieder ein großes Gerenne und Gerufe, während Scheinwerfer und Reflektoren herumgeschoben wurden. Vivek folgte Zoya, als sie das Set verließ, und kam zehn Minuten später zurückgeeilt. »Kommen Sie«, sagte er. »Madam ist jetzt bereit, Sie zu empfangen.«
Auch von nahem war sie umwerfend. Sie war ein bißchen aufdringlich geschminkt, aber Sartaj begriff, daß das wegen der Scheinwerfer und der Kamera nötig war. Zwischen ihren tödlich scharfen Wangenknochen und ihren vollen Lippen herrschte eine perfekte Spannung, die nichts mit dem Makeup zu tun hatte. Sartaj und Kamble setzten sich in Zoyas Wohnwagen nebeneinander auf eine breite, in die Wand eingelassene Ledercouch. Zoya war aus einer Privatgarderobe gekommen, in ein jungfräulich weißes Gewand gehüllt, und hockte nun auf einem Stuhl. Vivek stand neben der Treppe, ganz rosig vor lauter Bewunderung für Madam.
»Dieser Jungli-Rock hat wunderbar ausgesehen«, sagte er zu ihr, wobei er einen Blick auf Sartaj warf.
»Ja, wirklich«, sagte Sartaj.
»Didi 171 «, sagte Vivek, »das sind große Fans von Ihnen. Sie haben sich über Stephanie an mich gewandt, Sie erinnern sich doch an sie? Sie möchten Sie unbedingt kennenlernen.«
Zoya trug ein Lächeln zur Schau, wie es Menschen, die an Aufmerksamkeit und Macht gewöhnt sind, aufsetzen, um Demut zu bezeigen. Sartaj hatte es schon oft bei Politikern gesehen. »Nächstes Jahr werde ich eine Polizistin spielen«, sagte sie, »in Ghai-sahibs neuem Film. Ich bin
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