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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Nachmittag, an dem sie und Jojo auf der roten Terrasse vor dem Haus seilsprangen. Der Rosenkranz, der durch die Finger ihrer Mutter glitt, das einstündige Abendgebet, der Segen der Kirchenältesten. Das Abendessen, das sie, auf dem gewienerten Boden sitzend, aßen, Mutter auf ihrem niedrigen Hocker, tief über den Teller gebeugt. Die beeindruckende totale Dunkelheit, wenn die Laternen ausgeblasen wurden. Um neun ins Bett. Und schlafen.
    »Kein Strom, kein Fernsehen. Ich glaube, wir hatten nicht mal ein Radio, bis ich vierzehn oder fünfzehn war.«
    »Sie haben recht«, sagte Sartaj. »Es klingt sehr friedlich, aber ich glaube nicht, daß ich dort leben könnte.«
    »Das ginge auch gar nicht«, sagte Mary. »Dieses Dorf gibt es nämlich nicht mehr. Es hat sich vieles verändert.«
    Sartaj streckte sich und seufzte. »Es ist schon spät. Ich habe auf der Wache noch einiges zu tun. Wir sollten fahren«, sagte er. »Zurück nach Mumbai.«
    »Sie haben noch gar nicht von Zoya Mirza erzählt. Jana wird verärgert sein, wenn ich keine Neuigkeiten bringe.«
    Und so berichtete er ihr von dem Treffen mit Zoya Mirza, während sie gemächlich, ohne Eile, zurückfuhren. Die Stadt kam langsam näher, nicht bedrohlich, einfach unvermeidlich. Die verstreuten Hütten, Häuser, Gebäude rückten zusammen, wurden zu einer dichten Masse. Sartaj hatte das Gefühl, von einer Art Schwerkraft angezogen zu werden, und er war froh darüber. Dies war sein Zuhause. Mary saß bequem auf dem Beifahrersitz, die Knie hochgezogen, ein kleines Stückchen näher bei ihm als zuvor.
    Vor ihrem Haus standen sie einander gegenüber, plötzlich verlegen. Sartajs eine Hand lag auf dem Autodach, die andere hing unbeholfen an seiner Seite.
    »Und, ist Zoya hübsch?« fragte Mary.
    Sartaj zuckte die Achseln. »Sie ist okay. Nichts Besonderes.«
    Mary stupste seinen Unterarm an. »Sie kennen sich doch besser mit Frauen aus, als Sie vorgeben. Aber mal ehrlich, sie ist schön, oder?«
    »Are, ich sage das nicht nur so. Sie ist okay, bas. Groß und so, aber nicht mehr als okay. Sie ist übrigens nicht mal wirklich einen Meter achtzig groß. Das hat Jojo erfunden. Sie ist nur ein bißchen über einssiebenundsiebzig.«
    »Ooooh.« Mary war sichtlich erfreut über dieses Detail. »So was hat Jojo immer gern gemacht.«
    Sie schauten aneinander vorbei, und das Schweigen zog sich in die Länge. »Ich sollte gehen«, sagte Sartaj dann.
    »Gut«, sagte Mary. »Das war ein schöner Ausflug.«
    »Ja, finde ich auch.«
    »Dann also tschüß.«
    »Tschüß.«
    Sie trat einen Schritt auf ihn zu. Er stockte einen Moment, dann streckte er ihr die Hand entgegen. Sie lächelte und schüttelte seine Hand. Ich sollte ihr einen Kuß auf die Wange geben, dachte Sartaj, doch da hatte sie sich schon abgewandt. Er sah zu, wie sie die Treppe hinaufging, winkte ihr noch einmal, und auf der Fahrt zur Wache mußte er über sich lachen. Wo war seine alte Souveränität geblieben, die Gewandtheit von Sartaj-dem-verwegenen-Singh? Das Älterwerden bekommt mir nicht gut, dachte er. Dennoch war er bester Laune und summte auf dem ganzen Weg Mehbuba mehbuba ... 414

    Abends um elf, als er noch auf der Wache an der Arbeit saß, rief Anjali Mathur ihn an. »In unseren Akten über Gaitonde taucht nirgends ein Guru auf«, sagte sie. »War sich diese Frau ganz sicher?«
    »Ja, sie hat von mehreren Telefonaten gesprochen.«
    »Seltsam. Er muß das geheimgehalten haben.«
    »Vollkommen. Er hat ja auch Zoya geheimgehalten. Er muß eine ganze Menge Dinge geheimgehalten haben. Das konnte er gut.«
    »Allerdings. Ich habe in unseren Datenbanken nach dem Wort ›Pralay‹ gesucht, aber nichts gefunden. Also habe ich nach ›Qayamat‹ gesucht. Darauf bin ich dreimal gestoßen, immer in Schriften derselben Gruppe. Es handelt sich um eine militante Organisation namens Hizbuddin, von der wir nur ein sehr schattenhaftes Bild haben, wir haben nie eins ihrer Mitglieder ergreifen können. Wir wissen nicht einmal, wo sie ihre Basis haben, von wo aus sie operieren. Ihre Schriften haben wir bei Razzien im Zusammenhang mit anderen islamischen Gruppen gefunden, im Kaschmirtal, im Punjab und im Nordosten entlang der Grenze zu Bangladesh. Hizbuddin hat diese Gruppen mit Geld und Waffen versorgt, aber mehr wissen wir nicht über sie. Das erste Mal sind sie offenbar um die Zeit des Kargil-Krieges 316 in Erscheinung getreten. In ihren Schriften wird ganz konkret das Qayamat angekündigt und von den Anzeichen des Jüngsten

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