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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Mirza.«
    »Jojo, in Indien arbeiten immer noch ein paar muslimische Jungs für mich. Und wann hatte ich je ein Problem mit muslimischen Mädchen?« Mir waren Mädchen jeder Form, Größe und Religion recht. Ich nahm sie alle, ich war unparteiisch.
    »Dieser Fall ist anders gelagert, Gaitonde. Was Mädchen betrifft, denkt selbst dein Freund Suleiman Isa ausgesprochen weltlich, er hat keine Probleme damit, es mit Hindumädchen, Jainas oder Christinnen zu treiben. Unter der Gürtellinie sind alle Männer weltlich. Aber, noch einmal: wenn du in sie investierst, mußt du ihr wirklich helfen. Dann bist du mit ihr verbunden. Nicht nur für ein oder zwei Tage oder eine Woche auf deinem Schiff, sondern langfristig.«
    »Okay, verstehe. Laß mich darüber nachdenken. Wann ist sie geboren?«
    »Fängst du jetzt wieder mit diesem Astrologiekram an?«
    »Ja.«
    »Du bist verrückt.«
    »Sag mir Datum, Uhrzeit und Ort.«
    Sie gab mir die Geburtsdetails, und ich schrieb mit. Sie war genauso abgebrüht und skeptisch, wie ich es einst gewesen war, aber Guru-ji hatte meinen Widerstand zunichte gemacht. Ich war dabei, mich neu zu erschaffen.
    Jojo fragte: »Und was ist mit den Jungs?«
    Wir sprachen noch ein paar Minuten über Mädchen für meine Jungs. Dann mußte Jojo zu einer Produktionssitzung, und ich ging an Deck. Die Jungs spielten unter einem blauen Baldachin Karten. Ich hatte sechs Jungs an Bord, außerdem einen Buchhalter und einen Computerfachmann, einen Koch aus Maharashtra sowie eine fünfköpfige Besatzung, allesamt Goanesen (darunter drei ehemalige Marinesoldaten). Die Jungs waren in zwei Schichten aufgeteilt, drei von ihnen schoben immer Wache, was bedeutete, daß sie endlos Tin-Patti um niedrige Einsätze spielten. Arvind brauchte die üblichen zehn Minuten, um abzuwerfen, und Ramesh und Munna beschimpften ihn wortreich. Wie immer. Wir lagen in Sichtweite der bunten Sonnenschirme am Patong Beach vor Anker.
    Die Jungs standen auf, als ich mich ihnen näherte. »Bhai«, sagten sie alle und berührten meine Füße.
    »Wer gewinnt?«
    »Dieser schneckenhafte Gaandu hier. Wegen dem dauert das Spiel Jahre.«
    Auch das gehörte zur Tagesordnung: Arvind gewann. Er war langsam, aber gründlich. Doch die Stimmung war gereizt, das merkte ich. Zu Hause in Bombay bettelten sie alle um einen Auslandseinsatz. Sie wollten die ausländischen Jeans, die ausländischen Mädchen und den Lohn in ausländischer Währung. Sie konkurrierten darum, nach Thailand mitkommen zu dürfen, auf meine Yacht und zu meinen Operationen in Übersee, und demonstrierten unentwegt ihren Eifer, ihren Fleiß und ihr Engagement. Doch nach ein, zwei, fünf Monaten in diesen Gewässern wurden sie mürrisch. Sie vermißten Bombay körperlich. Ich konnte das nachvollziehen, denn obwohl ich Mumbai schon seit einem Jahr verlassen hatte, bekam auch ich noch regelrechte Sehnsuchtsanfälle. Ich sehnte mich nach den vollgespuckten Straßen dieser unbändigen Hure von einer Stadt, spürte beim Aufwachen das beißende Stechen der Autoabgase und brennenden Müllhaufen in der Nase, hörte das anschwellende Dröhnen des Verkehrs, wie es vom Dach eines hohen Hotelgebäudes aus klingt, dieses ferne Geräusch, bei dem man sich fühlt wie ein König. Wenn man von der gewaltigen Blechlawine, dem Dickicht der Slums, den langen, verschlungenen Bahngleisen, den Menschenmengen und der Radiomusik auf den Bazaaren weit entfernt war, konnte man ein schmerzliches Verlangen nach der Stadt empfinden. Es gab Nachmittage, an denen ich das Gefühl hatte, ein Teil von mir stürbe. Ich spürte unter dem fremden Himmel, wie meine Seele mehr und mehr verkümmerte. Und ich fühlte eine Einsamkeit, wie ich sie früher nicht einmal im Traum für möglich gehalten hätte. Erst nachdem ich Indien hinter mir gelassen hatte, wurde mir klar, daß ich dort nie allein gewesen war, daß ich gut aufgehoben im Netz meiner Familie, meiner Company, meiner Jungs gelebt hatte. Ich war ganz gewesen. Selbst allein in der Anda-Zelle, war ich noch in dieses weitläufige, unsichtbare Netz eingebunden gewesen. Auf indischem Boden kann man nicht wirklich einsam sein, selbst wenn man in einem übelriechenden Loch sitzt, das an ein Grab erinnert. Erst nachdem ich über die schwarzen Wasser davongesegelt war, hatte ich die Bedeutung des Wortes »allein« erfahren.
    Ich ließ also indische Mädchen und indische Filme für die Jungs einfliegen, und zweimal die Woche durften sie nach Indien telefonieren. Im ersten Monat waren

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