Der Pate von Bombay
Und selbst jetzt lernte ich noch, ich entwickelte mich fort, ich hatte eine Mission für mein Land, ich hatte einen Lehrer, ich bewegte mich. Ich hatte eine Geschichte.
Das alles sagte ich Guru-ji, als wir uns das nächste Mal unterhielten, und er lobte mich. »Du hast einen unfehlbaren Instinkt, Ganesh. Das Atman 034 kennt das Wesen des Universums, es versteht dessen komplexe innere Verbindungen, von den kleinsten bis hin zu den größten. Das Atman versteht sie, weil es das Universum ist. Doch unser Verstand funkt dazwischen. Diese unvollständige Struktur, die wir als wissenschaftliche Logik bezeichnen, verstellt uns die Sicht und sorgt paradoxerweise dafür, daß wir unwissend bleiben. Denn wie könnte man sonst dieses immense Netz von Verbindungen sehen und nicht glauben, daß es einen Urheber hat?«
»Sie meinen Gott, Guru-ji?«
»Ich meine das Bewußtsein.«
So hatten wir angefangen. Er hatte mir auf meinen Weg zum Wissen geholfen - nein, er hatte mich aufgehoben und auf den Berg der Weisheit getragen. Er trug mein Gewicht ohne Mühe, und während unseres Aufstiegs offenbarte er mir die ungeborenen Wahrheiten, die ewigen Tatsachen. Er wies mich auf die Zyklen der Geschichte hin und, darüber hinausgehend, auf die Rhythmen der Evolution, auf die Sterne, die geboren werden und ihrer unvermeidlichen Auflösung entgegenstreben, auf das Universum, das expandiert und irgendwann in sich zusammenstürzt, nur um aufs neue zu explodieren.
Und dann, Monate nach Beginn unserer Gespräche, demonstrierte er die besondere Fähigkeit, die all diese Einblicke ihm verliehen hatten: Er sagte mir meine Zukunft voraus. Auf seiner Website konnte man die Erfahrungsberichte Hunderter von Menschen lesen, denen zufolge er das konnte, es für sie getan hatte. Ich hatte einige dieser Berichte studiert und mich über das dringende Bedürfnis der Menschen nach Trost und Beruhigung gewundert. Die Berichte waren ziemlich detailliert, mitsamt Namen und den genaueren Umständen: Da war etwa ein Arzt aus Siliguri, dessen Tochter an Leukoderma litt und immer noch unverheiratet war. Ihm hatte Guru-ji gesagt, er solle sich keine Sorgen machen, im letzten Jahresviertel werde sich eine Lösung für dieses Problem finden - und tatsächlich war im Winter ein deutscher Ingenieur, der zur Mitarbeit an einem landwirtschaftlichen Projekt nach Indien gekommen war, von der Anmut und weißen Schönheit des Mädchens völlig bezaubert gewesen und hatte sie nach Düsseldorf ins Glück mitgenommen. So ging es auf der Website Seite um Seite, doch Guru-ji hatte keineswegs nur Glück prophezeit, er sprach auch offen von schlechten Zeiten, von Unfällen im oder am Wasser, von Scheidungen und geschäftlichen Umschwüngen. Ich kam zu dem Schluß, daß es sich bei all diesen Geschichten nur um die Obsessionen kleiner Leute handelte, die weder die materiellen noch die mentalen Ressourcen besaßen, um im Kampf mit dem Leben zu triumphieren. Doch dann sagte Guru-ji eines Abends zu mir: »Hüte dich vor den Thais.«
»Was?«
»Ich sehe, daß du in den kommenden Tagen versuchen wirst, ein Geschäft mit einigen Thais abzuwickeln. Sei vorsichtig. Trau ihnen nicht. Sie wollen dir übel.«
Es stimmte, daß wir im Begriff waren, einen Deal mit ein paar Typen aus der Provinz Krabi unter Dach und Fach zu bringen, wir hatten vier Millionen Methamphetamin-Tabletten für sie ins Land geschmuggelt, aber Guru-ji hätte das auch auf Verdacht gesagt haben können. Wir machten immer mal wieder Geschäfte mit Thais, das verriet keinen besonderen Einblick. Ich nahm ihn also nicht sonderlich ernst, bedankte mich trotzdem höflich und vergaß das Ganze bis zum Morgen der Übergabe, an dem ich, von der Erinnerung an Guru-jis Vorhersage in ein gewisses Unbehagen versetzt, meine Jungs, die schon unterwegs waren, anrief und ihnen sagte, sie sollten vorsichtig sein und einen Scharfschützen in Reserve halten. Und die Thais, diese Idioten, probierten es tatsächlich mit dem abgedroschensten plumpen Raubversuch, den wir seit fünfzehn Jahren erlebt hatten. Sie hatten ein paar zusätzliche Männer in einem Haus am Strand versteckt und dachten, das reiche, um unsere Einheit zu überwältigen. Wir machten sie natürlich nieder, unser Reservescharfschütze erwischte ihre Männer, als diese wie auf ein Stichwort aus dem Haus getappt kamen, und damit war die Sache erledigt.
Die Frage nach Guru-jis Vorhersage hing jedoch ungeklärt in der Luft, sie schwebte über meinem Kopf wie eine im Fall
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