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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Säcken, die herumgeschleift wurden, und das gelegentliche Aufblitzen von Flaschen. Ich erkannte ihren Sari sofort, so daß ich mich rechtzeitig abwenden konnte und am hinteren Ende des Raums stand, als sie den Vorhang zur Seite schob. Ihre Augen, die in der schlammigen Dunkelheit der Gur-Säcke zu glühen schienen, machten mir angst.
    »Ich habe mit Paritosh Shah telefoniert«, sagte sie.
    Ich bekam kein Wort über die Lippen, war wie gelähmt von dem plötzlichen Schrecken, unerfahren allein zu sein, allein mit dem Gold. Ich nickte und lehnte mich zugleich mit der Schulter an den Türrahmen, ganz lässig.
    Kanta Bai war amüsiert. Ein leichtes Schmunzeln umspielte ihren Mund, und sie sagte: »Laß das Gold mal sehen.«
    Ich nickte abermals. Mir war immer noch mulmig zumute, aber es mußte sein. Ich griff in meine rechte Tasche, legte die Goldbarren in meine Linke und hielt sie ihr hin, zwei kleine Barren, die schwer auf meiner Handfläche lagen. Kanta Bai nahm sie, wog sie prüfend in der Hand und gab sie mir zurück. Ihr Blick blieb auf mein Gesicht geheftet. »Du kannst jetzt zu ihm. Einer meiner Leute wird dich hinbringen.«
    »Gut.« Ich hatte meine Stimme und mein Selbstvertrauen zurückgewonnen. Die Barren verschwanden wieder in meiner Tasche, und ich fummelte ein dünnes Bündel Geldscheine heraus, das ich auffächerte.
    »Du kannst mich nicht bezahlen.«
    »Was?«
    »Wieviel hast du?«
    Ich hielt die Hand ins Licht. »Neununddreißig Rupien.«
    Sie stieß ein gurgelndes Lachen aus, ihre Wangen wölbten sich nach außen, und ihre Augen schlossen sich beinahe. »Bachcha 042 , geh zu Paritosh Shah. Wenn alles gut läuft, ist er mir einen Gefallen schuldig. Neununddreißig Rupien machen dich nicht zum Raja 514 Bhoj 515 von Bumbai.«
    »Dann bin ich Ihnen auch einen Gefallen schuldig«, sagte ich, »wenn alles gut läuft.«
    »Sehr clever«, antwortete sie. »Vielleicht bist du ja doch ein guter Junge.«

    Paritosh Shah war ein Familienmensch. Ich wartete in einem Flur im zweiten Stock auf ihn, neben einem Treppenhaus, aus dem gelegentlich ein Schwall beißenden Uringestanks aufstieg. Das Gebäude war sechs Stockwerke hoch und uralt, die wackelige Fassade wurde durch ein mit Stricken und Nägeln befestigtes Bambusgerüst gestützt, und die kunstvoll durchbrochenen Balkongeländer wiesen besorgniserregende Lücken auf. Im zweiten Stock, zu dem Kanta Bais Junge mich gebracht hatte, herrschte geschäftiges Treiben, lauter Shahs gingen auf dem Treppenabsatz an mir vorbei; sie nannten einander Chachu 105 und Mamu 394 und Bhai und ignorierten mich vollkommen. Mein schmutziges Hemd und meine zerlumpte Hose waren ihnen keines Blickes wert. Es war eine protzige, mit Goldringen bewehrte Schar, größtenteils in weißen Safarianzügen, und ihre weißen Schuhe und Sandalen waren unordentlich neben der bewaffneten Wache an der Tür aufgereiht. Irgendwo da drinnen war das Allerheiligste von Paritosh Shah, bewacht von einem ergrauten alten Muchchad 429 , der mit einem Gewehr von grotesker Länge auf einem Hocker saß. Er trug eine Uniform mit gelben Litzen und hatte einen mächtigen gezwirbelten Schnurrbart. Nachdem ich zwanzig Minuten im Uringestank dem Hin und Her der Shahs zugesehen hatte, fühlte ich mich brüskiert, und aus irgendeinem Grunde richtete sich mein Groll auf den Munitionsgürtel, den der Alte um die Brust trug, auf das rissige Leder und die drei zylindrischen Patronen. Ich stellte mir vor, wie ich meinen Revolver zog und ein Loch mitten in den Gürtel schoß, direkt über dem Hängebauch des Mannes. Es war ein absurder Gedanke, doch er hatte etwas Befriedigendes.
    Weitere zehn Minuten verstrichen, und dann reichte es mir. Entweder es geschah sofort etwas, oder er bekam die Kugel in die Brust. Ich hatte hämmernde Kopfschmerzen.
    »Hör mal, Mamu«, sagte ich zu dem Wachposten, der gerade mit einem Bleistiftstummel in seinem linken Ohr bohrte. »Sag Paritosh Shah, daß ich gekommen bin, um ein Geschäft zu machen, nicht um hier herumzustehen und seine Latrine zu riechen.«
    »Was?« Der Bleistift fiel heraus. »Was?«
    »Sag Paritosh Shah, daß ich gegangen bin. Woandershin. Sein Pech.«
    »Halt, halt.« Der Alte lehnte sich zurück und wandte seine Schnurrbartspitzen Richtung Tür. »Badriya, komm mal her und hör dir an, was dieser Bursche zu sagen hat.«
    Badriya, deutlich jünger und viel größer als der Bleistiftbohrer, ein Bodybuilder mit ruhigen, bedächtigen Bewegungen, kam leise auf seinen nackten

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