Der Pate von Bombay
Selbst aus dieser Entfernung konnte ich durch die Eingangstür in den Empfangsraum mit den breiten Schreibtischen sehen, und ich wußte, was dahinter lag - die vollen Büros, die in Reihen dahockenden Gefangenen, die kahlen Zellen ganz am Ende. Die kleine Menschenansammlung vor dem Gebäude bewegte sich, verlagerte sich, formierte sich neu, aber sie war immer da, und ich beobachtete sie, während ich in meiner Zeitung blätterte. Ich erkannte die Cops, selbst die zivilen, an der Wölbung ihres Nackens und einer gewissen Rückwärtsneigung - ein bißchen wie bei einer Kobra, die sich mit ausgebreitetem Halsschild in einem frisch gepflügten Feld aufgerichtet hat, bebend vor Macht und Arroganz. In ihren Augen glitzerte dieselbe Kampfeslust. Ich hielt nach etwas anderem Ausschau.
Erst um halb drei, nach zwei Fehlstarts, fand ich meine Informantin. Zuvor hatte ich es mit einem schmalhüftigen Mann versucht, der sich seitlich durch das Tor auf die Straße schob und sie mit der aalglatten Zurückhaltung eines Taschendiebs hinunterging; ihm folgte ich fast einen Kilometer weit, bis schließlich seine langen Hände, die sich mit hundeartiger Gier zusammenkrallten und wieder entspannten, mein Mißtrauen erweckten. Zurück beim Revier, hielt ich erneut Ausschau und nahm einen älteren Mann um die Fünfzig ins Visier, der aus der Eingangstür trat, vor dem Tor stehenblieb und mit dem Daumen eine Schachtel Zigaretten aufschnippte. Bedächtig und präzise klopfte er mit seiner Zigarette dreimal auf das Päckchen, zündete sie an und inhalierte, alles mit derselben gelassenen Selbstsicherheit. Ich ging ihm nach; der saubere Bogen seines weißen Haaransatzes und sein unauffälliges graues Buschhemd gefielen mir. Doch als ich ihn an der Kreuzung überholte und höflich um eine Zigarette bat, sah mich der Mann bar jedes Mißtrauens und mit solch rückhaltloser Freundlichkeit an, daß an seiner Ehrbarkeit nicht der geringste Zweifel bestehen konnte. Er war ein rechtschaffener Bürger, der auf die Wache gegangen war, um ein gestohlenes Fahrrad zu melden oder lärmende Nachbarn anzuzeigen; er würde keine Ahnung haben, wer Paritosh Shah war. Ich nahm dankend eine Zigarette entgegen und kehrte zu meinem Posten zurück.
Ich trat gerade den Zigarettenstummel mit dem Absatz aus, als ich sie hörte. Es war eine tiefe Stimme, eindeutig die einer Frau, wenn auch sehr dunkel und sehr sonor. Sie stritt mit einem Rikschafahrer, erklärte, sie fahre diese Strecke jede Woche, und er habe sein Taxameter ausgeschaltet, zwölfsechzig könne er von irgendeinem frisch aus UP 646 gekommenen Chutiya verlangen, aber nicht von ihr. Die Autorikscha und der Fahrer versperrten mir die Sicht, ich konnte nur ihre rundlichen Arme und eine enge gelbe Bluse erkennen, doch als der Fahrer dann mit neun Rupien unter lautem Reifenquietschen wegfuhr, erhaschte ich einen Blick auf einen tiefroten Sari, einen fleischigen Rücken mit molliger Taille und einen raschen, wiegenden Gang, was alles irgendwie anrüchig wirkte. Jetzt war ich ungeduldig. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, die anderen, die in der Wache ein und aus gingen, in Augenschein zu nehmen, sondern wartete nur noch auf sie. Als sie nach einer Dreiviertelstunde herauskam, war ich vorbereitet.
Sie überquerte die Straße, stemmte die eine große Hand in die Hüfte und winkte mit der anderen gebieterisch nach jeder Rikscha, die vorbeiknatterte. Ich holte tief Luft und trat näher, und nun sah ich unter der hennaroten Mähne ihre Hängebacken, ihre kräftigen Augenbrauen, ihre großen, lotosförmigen Ohrringe. Sie war alt, zumindest älter, von der Zeit gezeichnet, vielleicht vierzig oder fünfzig. Mir gefiel ihre Haltung, sie stand stämmig und leicht vorbeugt da, die kräftigen Beine weit auseinander. Ihr Pallu war achtlos über die Schulter geworfen, alles andere als sittsam.
»Die Rikschas sind um diese Zeit alle besetzt«, sagte ich.
»Geh weg, Junge. Ich bin keine Randi«, knurrte sie. »Wobei du nicht so aussiehst, als ob du dir eine leisten könntest.«
Ich hatte gedacht, sie hätte mich noch gar nicht wahrgenommen. »Ich suche keine Randi.«
»So, so.« Jetzt wandte sie mir das Gesicht zu, und ihre Augen traten leicht hervor, nicht häßlich, aber ungewöhnlich, es gab ihrem Gesicht etwas Unberechenbares. »Was willst du dann?«
»Ich möchte Sie etwas fragen.«
»Warum sollte ich antworten?«
»Ich brauche Hilfe.«
»So siehst du aus. Du kriegst deine Hose nicht auf und willst, daß ich
Weitere Kostenlose Bücher