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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Spielbrett verändert sich. Was weiß ist, wird schwarz sein. Wer schnell hoch aufsteigt, den erwarten die Schlangen. Halt dich an die Spielregeln.
    Ich fand mich vor einem Tempel wieder. Ich schaute nach rechts, nach links, hatte keine Ahnung, wie ich hierhergeraten war. Auf der einen Straßenseite standen Mietshäuser, auf der anderen niedrigere Gebäude mit schrägen Ziegeldächern, die Häuser von Mühlenarbeitern, kaufmännischen Angestellten, Briefträgern. Der Tempel befand sich an einer Ecke, und es war wohl das weithin hallende Läuten der Glocke gewesen, das mich in den Hof unter das hohe Spitzdach geführt hatte. Ich lehnte mich an eine Säule und hielt abermals nach Verfolgern Ausschau, nach todbringenden Schatten inmitten der Autorikschas und Ambassadors. Falls sie da draußen waren, Gier und Heimtücke ausdünstend, war der Tempel kein schlechterer Ort als jeder andere, um abzuwarten. Ich hatte nichts für Tempel übrig, verabscheute Weihrauch, bequeme Lügen und Mitleid, glaubte weder an Götter noch an Göttinnen, doch hier bot sich mir ein Zufluchtsort. Ich zog die Schuhe aus und ging hinein. Die Gläubigen saßen im Schneidersitz auf dem glatten Boden, dicht an dicht, über die ganze beträchtliche Länge des Raums. Die Wände waren von einem kargen, im Neonlicht erstrahlenden Weiß, die dunklen Köpfe indes bewegten sich in einem Meer bunter Saris, lila, leuchtend grün, blau und tiefrot, bis hin zur orangefarbenen Statue des fliegenden Hanuman, der sich elegant den Berg über den Kopf hielt. Ich fand an der Rückwand einen Platz, setzte mich mit untergeschlagenen Beinen hin und fühlte mich sofort wohl. Ein Mann in safrangelbem Gewand saß auf einem Podium vor Hanuman, und sein Vortrag war fließend und kraftvoll, die alte Geschichte von Bali 051 und Sugriv 605 , der Konflikt, die Herausforderung, das Duell, und die im Dschungel lauernden Götter. Ich kannte die Listen und Schliche gut und nickte schläfrig zu dem uralten Handlungsablauf und dem Rhythmus der Lektion. Als der Priester mit ausgestreckten Armen Verspaare rezitierte, verfielen die Gläubigen in einen Singsang, aus dem die Frauenstimmen hell aufstiegen. Der Pfeil flog, und dann lag Bali durchbohrt auf dem Boden, sich windend, seine Fersen in den Waldboden grabend, und ich zog die Knie an, legte meinen Kopf darauf und fühlte mich wohl.
    Ich erwachte, weil mich der Priester im safrangelben Gewand schüttelte. »Beta«, sagte er. »Es ist Zeit zu gehen.« Er hatte weißes Haar und ein verschmitztes Gesicht. »Wir müssen abschließen. Hanuman-ji muß schlafen gehen.«
    Ich rieb mir kräftig den steifen Hals. »Ja, ich gehe.« Ich war der letzte im Raum.
    »Hanuman-ji hat Verständnis. Du warst müde. Hast lang gearbeitet. Er sieht alles.«
    »Natürlich«, sagte ich. Was für phantastische Geschichten sich die Alten und Schwachen doch erzählten. Ich streckte die Beine, stand auf und stolperte zu dem abgeschlossenen Opferstock vor Hanuman. Während ich aus dem dünneren der beiden Bündel einen Fünfhundert-Rupien-Schein zog, fiel mir auf, daß ich das Geld gar nicht gezählt hatte, als Paritosh Shah es mir gab. Dilettantisch - das würde mir nicht noch einmal passieren. Ich schob das Geld in den Schlitz und sah zu meiner Rechten jetzt den Priester mit einer kleinen flachen Metallschale voller Prasad 496 stehen. Ich hielt ihm die gewölbte Hand hin und aß beim Hinausgehen die kleine zuckrige Peda. Mir lief schmerzhaft der Speichel im Mund zusammen, ich war ausgeruht und fand das Leben ausgesprochen süß.
    Draußen waren jetzt keine Massen von Menschen mehr unterwegs, zwischen denen sich Mörder hätten verbergen können, und während ich mit schnellen, laut knirschenden Schritten die Straße entlangging, fühlte ich mich sicher. Die Laternen ließen kein Fleckchen unbeleuchtet, und ich war vollkommen allein. Ich hielt eine Autorikscha an, und nach fünf Minuten und dreimaligem Abbiegen stand ich am Bahnhof. Ich zahlte und war schon fast am Fahrkartenschalter, als ein Mann, der an einem Eisenzaun lehnte, fragend das Kinn hob: Was willst du? Ich schaute ein bißchen zu lange hin, so daß der Mann plötzlich neben mir herlief und in der fröhlich-einschmeichelnden Art der Schlepper auf mich einflüsterte: »Was suchen Sie, Yaar? Ein bißchen Spaß, wie wär's? Charas 109 , Calmpose, ich habe alles. Wollen Sie eine Frau? Schauen Sie mal da rüber, in das Auto. Bedienen Sie sich.« Auf der anderen Seite, direkt vor einem Geschäft mit

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