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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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zögerte, erinnerte ihn Nachiketas selbst daran, daß er, der Sohn, seines Vaters letzter Besitz war. Nachiketas schenkte sich dem Tod und bescherte seinem Vater dadurch den Himmel, und uns offenbarte er durch seinen Tod das Geheimnis des Lebens. Die Weisheit gehört denen, die sich selbst verbrennen und so ihr wahres Selbst entdecken.« In den Shamianas herrschte absolute Stille, kein Atemzug war zu hören. Guru-ji lachte. »Keine Angst«, sagte er. »Ich werde nicht von euch verlangen, daß ihr eure Söhne aufgebt, und ich werde auch nicht verlangen, daß ihr in dieses Feuer hier springt.« Die Flammen loderten über den Köpfen der Priester. »Die Zeiten haben sich geändert. Wir werden dieses Sarvamedha durchführen und dabei Tiere und Menschen opfern, alles, was lebt. Doch wir werden es symbolisch tun. Ihr werdet brennen, aber nur in Form einer Figur. Einer Figur wie dieser.«
    Er hob die Hand und zeigte eine auf seinem Handteller liegende kleine menschliche Figur. Als ich seiner Geste folgte, fiel mir jenseits der Flammen ein Polizist auf, ein Sardar mit einem hohen khakifarbenen Turban und einem grünen Patka darunter. Er hatte gerade jemanden zum VIP-Bereich geleitet und war im Begriff hinauszugehen, drehte sich jedoch noch einmal um und hörte Guru-ji zu. Für einen kurzen Moment, die Dauer des Aufzüngeins einer Flamme, trafen sich unsere Blicke. Dann wandten wir uns beide wieder Guru-ji zu.
    Während die Priester rezitierten, warf Guru-ji die kleine Figur ins Feuer. Und so wurden den ganzen restlichen Tag kleine Figuren - Kühe und Bullen, Männer und Frauen aus kristallisiertem Zucker oder Kalk - in das heilige Feuer geworfen. Es war ein gewaltiges, duftendes Feuer. Ich saß nah genug, um seine Musik, seinen gleichmäßigen Rhythmus hören zu können.

    Spätabends wartete ich in einer langen Schlange auf eine Begegnung mit Guru-ji. Um elf Uhr hatte er den Altar verlassen und sich zur Nacht in das Haus des Filmproduzenten zurückgezogen. Doch von elf bis Mitternacht empfing er noch Leute aus der Bevölkerung zu einer Privataudienz. Die Schlange begann vor dem Tor des Hauses und wand sich zweimal um den gesamten Maidan. Ich stand ungefähr in der Mitte. Um Mitternacht kamen die Polizisten und sagten uns, Guru-ji müsse jetzt schlafen, wir sollten nach Hause gehen. Ein großes Seufzen ging durch die Menge, doch dann zerstreuten sich die Leute schnell und ohne Protest. Wir konnten uns vorstellen, wie müde Guru-ji war, wie sehr es ihn trotz seiner enormen Kraft strapaziert haben mußte, den ganzen Tag mit uns zu reden, uns auf seinem Weg mitzunehmen. Die Polizisten sahen erleichtert aus. Auch sie waren müde, doch sie waren das energiegeladene Getümmel und Gedränge der Ganapati-Prozessionen gewohnt, bei denen Tausende junger Männer in Shorts und Banians für Ganesha tanzten, berauscht von Schweiß und Kameradschaft und verstohlenen Schlucken Bier oder Bhang 076 . Aber wir, die Anhänger Guru-jis, traten wohlgeordnet den Heimweg an.
    Bunty erwartete mich in unserem Zimmer mit Essen und seinen Mobiltelefonen.
    »Bhai«, sagte Bunty, als wir die geschäftlichen Anrufe erledigt hatten, »meine Frau denkt schon, ich hätte eine Freundin. Ich sage ihr immer wieder, daß wir im Moment einfach unheimlich viel zu tun haben, daß es eine Reihe von Nachtaktionen gibt, aber sie hat gesehen, wie ich etwas von ihrem eingelegten Ingwer eingesteckt habe, und jetzt ist sie überzeugt, daß ich meine Freundin mit ihrem Essen verwöhne.«
    Er grinste, doch ich kannte seine Priya, eine mollige Punjabi und einstige Klosterschülerin, die aussah wie ein Patton-Panzer. Bunty hatte natürlich Freundinnen nebenher, aber er handhabte das sehr diskret. Daß er eine tobende Priya hinnahm, weil er sich um mich kümmern mußte, war ein Beweis seiner absoluten Ergebenheit. »Da ist wohl zu Diwali eine doppelte Zulage fällig, Beta«, sagte ich. »Kauf ihr ein paar schöne Armreife.«
    »Eine dreifache«, sagte er. »Heute abend hat sie echt was geboten. Mitten im Roten Fort 197 , Bhai. Und sie hat sich nicht zurückgehalten. Ich mußte ihr eine runterhauen, damit sie endlich still ist.«
    Wir hatten dieses Jahr anläßlich des Fests für anderthalb Crores das Rote Fort von Agra nachbauen lassen, mitsamt einem glitzernden Pfauenthron für Ganesha. Die Böden waren aus echtem Marmor, und selbst die Schnitzereien waren nach Fotos exakt reproduziert. Die Leute kamen aus ganz Bombay nach Gopalmath, um unser Rotes Fort zu sehen, es war ein

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