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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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darauf angelegt, doch nach einstündigem Warten kristallisierte sich heraus, daß ich es womöglich trotzdem nicht schaffen würde. Heute kamen die ganzen VIPs, ein Innenminister, zwei Schauspieler, drei Schauspielerinnen, Industriemagnaten und Fernsehansager, Filmproduzenten und ein General. Ihre Wagen fuhren einer nach dem anderen vor, eine glänzende Ansammlung vor der Villa, und in der Schlange ging es kaum voran. Für die gewöhnlichen Leute hieß es warten, und heute gehörte ich zu den gewöhnlichen Leuten. Es war kurz vor Mitternacht.
    »Haben Sie Ihren Guru-ji inzwischen getroffen?« Es war der Sardar-Inspektor. Er war groß, einen Kopf größer als ich. Auf dem schwarzen Schild an seiner Uniform stand in weißen Buchstaben sein Name: Sartaj Singh.
    »Nein«, antwortete ich. »Zu viele hohe Tiere heute.«
    Ich zuckte mit den Achseln. Ich war ruhig, aber ziemlich ausgelaugt, meine Beine fühlten sich an wie Faluda, und mir war leicht schwindlig. Auch der Inspektor sah erschöpft aus. Sein Hemd war von den Schweißflecken des Tages bedeckt, und im weißen Neonlicht hatte er gar nichts mehr von einem Chikniya, er war nur noch hager, hochgewachsen und müde. Er musterte mich mit dem unpersönlichen Mißtrauen des Policiya. Dann sagte er: »Kommen Sie.«
    Er führte mich ganz nach vorne, zwischen den geparkten Toyotas und BMWs hindurch, an Reihen von Polizisten und privaten Wachleuten vorbei. Er nickte einem Inspektor zu, der neben der hohen Flügeltür der Filmproduzenten-Villa stand, dann gingen wir durch den vollen Salon und einen mit Marmor ausgekleideten Korridor. Sartaj Singh sprach kurz mit einem Polizeibeamten, wir bogen in einen weiteren Korridor voller Sadhus und Anhänger, traten in einen Garten und an den Anfang der Schlange. Dort saßen drei Sadhus, die die Anhänger einzeln durchließen. Hinter ihnen, in der Mitte des Gartens, erkannte ich das unverwechselbare Profil von Guru-ji, der in seinem Rollstuhl saß und mit einer Frau sprach.
    »Okay«, flüsterte mir Sartaj Singh ins Ohr. »Bis hierher habe ich Sie gebracht. Jetzt müssen Sie selbst übernehmen.« Er raunzte die Sadhus an: »Er kommt als nächster dran.«
    Ich spürte, wie er mir auf den Rücken schlug, doch ehe ich mich umdrehen und ihm danken konnte, war er schon weg. O ja, ich würde selbst übernehmen. Ich betrachtete Guru-jis Assistenten ruhig, trat einen Schritt nach rechts und baute mich vor ihnen auf. Ich würde als nächster drankommen. Ein großer, flachsblonder firangi Sadhu schien der Chef zu sein, ich lächelte ihn nett an und wandte den Blick so lange nicht von ihm ab, bis er mit einem unsicheren Grinsen reagierte. Mochte ich auch für Guru-ji Schlange stehen, diesem kleinen Lakaien würde ich schon zeigen, daß ich es ernst meinte.
    Nach all den Tagen des Wartens war es jetzt eine Sache von zwei Minuten. Die Frau neben Guru-ji stand auf, drehte sich um, und ich schlüpfte an dem firangi Sadhu vorbei. Im Nu war ich bei Guru-ji, war endlich mit ihm allein. Ich kniete mich vor ihn, berührte seine Füße mit den Händen, mit dem Kopf.
    »Jite raho, Beta«, sagte er und legte mir die Hand auf den Kopf. »Komm, komm.«
    Er hob mich auf, wies auf einen Stuhl. Ich setzte mich. Ich wußte, daß ich lächelte wie ein glücklicher Säugling. Wie ein fröhlicher, unbeschwerter Irrer. Ich saß da, die Hände im Schoß gefaltet, und strahlte ihn an.
    »Sag mir, was du möchtest«, sagte er. »Was du brauchst.«
    Ich lachte auf. »Ich brauche jetzt gar nichts mehr, Guru-ji. Ich wollte nur bei Ihnen sein.«
    Er wußte sofort, wer ich war. Wir hatten viele Stunden miteinander telefoniert, und er kannte meine Stimme so gut wie ich seine. Seine Selbstbeherrschung war perfekt, kein Zusammenzucken, kein Anzeichen von Überraschung, nichts. Nur ein sehr langer Moment, in dem er mich musterte, mit einem harten Blick, der mir durch Mark und Bein ging. Ich hielt seinem Blick stand. Er neigte sich in seinem Rollstuhl ein wenig zur Seite, um mich im vollen Licht zu sehen, und ich hob den Kopf, damit er mir direkt ins Gesicht blicken konnte.
    »Ganesh«, sagte er. »Ganesh.«
    »Ich bin gekommen, Guru-ji«, sagte ich, doch jetzt war ich nervös. Er war in diesem Moment undurchdringlich, vollkommen still, hart wie Donner. Man konnte nicht behaupten, daß er sich gefreut hätte, und ich hatte Angst, er könnte zornig sein. Ich hatte selbst natürlich einiges riskiert, aber ich hatte auch ihn in Gefahr gebracht. Ich hatte unsere Beziehung auf die Probe

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