Der Pate von Bombay
langsame Dünung der Shlokas, ewig, beständig, unaufhaltsam, hielten uns alle in Bann. Guru-ji übersetzte und erklärte uns einige der Shlokas.
Das Opfer ist ein Webrahmen,
Seine vielen Fäden sind diese Rituale.
Die Väter sitzen am Webrahmen
Und weben den Stoff.
Sie rufen: Hin! Her!
Ein Mann wickelt den Faden ab
und bespannt den Webrahmen damit,
Er legt den Faden in die Kerben des Himmels.
Die Stifte sind an diesem Altar befestigt.
Auf diesem himmelüberspannenden Webrahmen
Sind die Sama-Verse die Schiffchen,
Sie sausen hin und her.
»Jeder Gott hüllte sich in ein Versmaß«, sagte Guru-ji, »und dieses Versmaß wurde zur Quelle seiner Kraft als Opfernder. Agni tauchte in das Versmaß Gayatri ein, Savitar in die Usnih. Indra gewann seine Energie aus der Trishtubh. Und die Jagati durchströmte sämtliche Götter. So erstand aus Versmaß und Opfer, Kette und Schuß, aus dieser Form, dieser Poesie, das Universum.« Während ich mit gekreuzten Beinen auf dem Boden saß, allein und anonym, sah ich - auf der Filmleinwand meiner Imagination - diesen Moment der Schöpfung, die Hymnen, die übereinanderflossen wie Ghee über Sandelholz, die funkensprühenden Versmaße, die auflodernden Flammen des Universums. »Wenn wir opfern«, sagte Guru-ji, »wenn wir Hymnen singen, wenn wir die Versmaße durch uns hindurchfließen lassen, weben wir die Welt. Wir sind Schöpfer. Wir erhalten alles Seiende aufrecht, wir erschaffen es. Wir sind das Universum.«
In unserem Zimmer erwartete mich Bunty mit einem guten Abendessen, das er von zu Hause mitgebracht hatte. Beim Essen besprachen wir Geschäftliches, ich erteilte Anweisungen und beantwortete Fragen. Die Jungs auf der Yacht hatten inzwischen vermutlich gemerkt, daß ich nicht in Jakarta war, schließlich war ich telefonisch dort nicht zu erreichen, doch niemand wäre im Traum daraufgekommen, daß ich hier war, daß ich in Andheri an einem Yagna teilnahm oder in Santa Cruz Parathas aß. Sie schickten mir Berichte, und Bunty leitete meine Befehle an sie zurück. Was unsere Arbeit für Mr. Kumar betraf, so waren unsere Jungs bereits in London postiert und warteten auf den Mullah. Ich wies Bunty an, sichere Verbindungswege einzurichten und sich um Waffen und Logistik zu kümmern. Dann sank ich in einen tiefen und entspannten Schlaf, schlief so zufrieden und vertrauensvoll wie ein Kind, das weiß, daß Zuwendung und Liebe es empfangen werden, wenn es wieder aufwacht. Ich erwachte mit einem Lächeln auf den Lippen.
Und dann fuhr ich wieder zu Guru-ji. An diesem zweiten Tag war ich früh dran, war einer der ersten auf dem Maidan, abgesehen von den Polizisten und den freiwilligen Helfern. Ich ging zum vordersten Shamiana vor und fand einen Platz direkt hinter dem VIP-Bereich, ganz nah am Altar. Die Sadhus saßen am Feuer, das nicht ausgegangen war und auch die nächsten zwölf Tage nicht ausgehen würde. Das Yagna war über Nacht von mehreren Gruppen von Priestern fortgeführt worden. Jetzt, am Morgen, schalteten sie gerade die Lautsprecher wieder an. Auf die Sekunde genau um elf erschien Guru-ji. Diesmal konnte ich ihn von nahem sehen. Bei seinen Fernsehauftritten trug er manchmal Nehru-Anzüge, exquisit geschneiderte, aber schlichte Jacketts aus Leinen oder Seide. Auch ich hatte mir mehrere solche Jacketts schneidern lassen. Doch heute trug er ein weißes Dhoti und ein strahlend weißes Tuch, das er über die eine kräftige Schulter geworfen hatte, so daß die andere nackt blieb. Seine Haare waren nach hinten gekämmt. Er sah gut aus. Er war vierundsechzig Jahre alt, doch seine Haut war straff und rein, und seine Augen waren lebendig und aufmerksam.
»Dies ist ein Opfer für alle Menschen«, erklärte er uns heute. »Es ist nicht nur Rishis oder Munis 434 oder Herrschern vorbehalten. Ob ihr der obersten oder der niedrigsten Gesellschaftsschicht angehört, ihr könnt alle an unserem Sarvamedha teilnehmen. Wir laden euch alle dazu ein. Ihr seid der Yajman. Aber ihr müßt geben. Denn das ist der Sinn des Sarvamedha: Ihr müßt alles opfern. Sarvamedha ist das allumfassende Opfer, das All-Opfer. Früher hat man den Göttern bei diesem Opfer Tiere aller Art dargebracht, und Menschen aller Schichten, aller Berufe schenkten sich dem heiligen Feuer. Brahmanen und Schneider, Wäscher und Krieger starben während des Sarvamedha und wurden gesegnet. Früher gab der Yajman seinen gesamten Besitz als Opfergabe, alles, was er besaß. Als der Vater von Nachiketas angesichts dieses ›alles‹
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