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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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auf einem Foto zu sehen ist eines. Nach Amritsar zu fahren ist etwas völlig anderes.«
    »Sie kommen nicht aus Bombay?« Der typische Polizistentrick, diese unvermittelte Frage, und dazu der übliche abschätzende Blick. Hinter der filmstarmäßigen Attraktivität dieses Chiknya 119 verbarg sich die erbarmungslose Brutalität, die aus Tausenden von Verhören erwachsen ist. Ich kannte diese Sorte Mann.
    »Ursprünglich nicht. Aber ich bin vor ein paar Jahren hierhergezogen.«
    »Was machen Sie denn?«
    »Ich arbeite in einer Import-Export-Firma.« Er hatte unsere Unterhaltung schließlich doch zum Frage-Antwort-Spiel gemacht, dieser mißtrauische Drecksack. Typisch, typisch. Ich wandte mich dezent wieder dem Yagna zu. Aber er ließ nicht locker.
    »Irgendwo habe ich Sie schon mal gesehen«, sagte er. »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.« Ich hielt mich ganz ruhig, ließ nicht zu, daß mein Körper sich anspannte. Dann sah ich ihn über die Schulter noch einmal an und lächelte. »Ich habe ein ziemliches Allerweltsgesicht, Saab.« Ich hatte meinen Bart wachsen lassen, schor mir weiterhin den Kopf und sah inzwischen schon selbst aus wie einer dieser afghanischen Mullahs. Wenn ich mich im Spiegel betrachtete, erschien ich mir alles andere als vertraut. Aber dieser Maderchod hatte einen scharfen Blick. »Mir sagen ständig Leute, daß ich aussehe wie irgend jemand, den sie kennen. Meine Frau fand das immer sehr lustig.«
    »Fand? Lebt sie nicht mehr?«
    Wie aufmerksam er doch war, dieser Chiknya-Inspektor, genau das Gegenteil von dem begriffsstutzigen Sardar aus all den Witzen. Bei ihm mußte man auf der Hut sein. »Sie ist tot«, sagte ich sehr leise. »Sie ist bei einem Unfall ums Leben gekommen.« Er nickte, schaute weg. Als er sich mir wieder zuwandte, war er der maderchod Inspektor von zuvor, doch ich hatte dieses kurze Aufblitzen von Mitgefühl wohl wahrgenommen. Auch ich konnte sehr aufmerksam sein. Auch ich hatte in meinem Leben gelernt, die Menschen zu lesen. »Sie haben auch jemanden verloren«, sagte ich. »Ihre Frau?«
    Er warf mir einen harten, finsteren Blick zu. Er war natürlich ein stolzer Mann und zudem in Uniform. Er würde mir nichts erzählen. »Jeder verliert irgendwann mal jemanden«, sagte er. »So ist das im Leben halt.«
    »Wenn Sie sich Guru-jis Schutz anvertrauen, wird dieser Schmerz vergehen.«
    »Behalten Sie Ihren Guru-ji ruhig für sich«, sagte er, doch er war wieder freundlich, grinste sogar ein wenig. Er hob die Hand und machte sich zum Ende der Zeltreihe auf, um seiner Pflicht nachzukommen. Guru-ji erschien pünktlich um die übliche Zeit, und heute führte er uns zum Ende des Opfers, zu dessen Erfüllung.
    »Wir haben eine bedeutende Wegstrecke zusammen zurückgelegt«, sagte er. »Ihr habt mich über viele Tage hinweg begleitet. Durch die Teilnahme an diesem großen Yagna habt ihr die Trägheit Hunderter früherer Leben weggebrannt. Der Nutzen dieses Opfers und seine Kraft werden euch, den Yajmans, zuteil werden. Doch vergeßt nicht, was ich euch über das Sarvamedha erzählt habe: Der Yajman gibt alles. Um euch selbst zu opfern, müßt ihr alles opfern, woran ihr hängt. Heute also, wenn denn je: gebt. Gebt von euch selbst.«
    Es war ein heißer Tag, der letzte Tag des Sarvamedha. Nach vielen trüben Tagen brannte die Sonne jetzt den Dunst weg, schlüpfte zwischen die Zelte, ließ breite Flammenstreifen über unsere Beine, unsere Köpfe wandern. Der duftende Rauch sammelte sich und wurde dichter, die Shlokas wogten durch uns hindurch, und Guru-jis Stimme sank in meine Brust, die Leute standen heute dichtgedrängt, mir rann der Schweiß über die Schultern, und viele von uns weinten. Auch ich weinte. Ich war nicht traurig, empfand keinen Schmerz. Ich war glücklich und schluchzte. Ich gab, gab alles, was in meiner Brieftasche war, und meine Uhr. Während der vorangegangen Tage des Opfers hatten Guru-jis Anhänger immer wieder gespendet, hatten Geld und Wertsachen in die zwischen den Zelten stehenden Kästen geworfen. Doch heute gaben wir alles. Ich sah Frauen ihren Schmuck, ihre Mangalsutras geben, sah Männer Gold- und Diamantringe von ihren geschwollenen Fingern zerren. An diesem Nachmittag wurden wir wirklich zu Yajmans und spürten die Kraft des Samarvedha.
    Und dann war es vorbei. Um zehn legte Guru-ji die Hände zu einem Pranaam an uns alle zusammen und neigte den Kopf. An diesem Abend stand ich fast vorne in der Schlange für das Darshan. Ich hatte das geplant, hatte alles

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