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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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zu sehen, und es gebe keinen Anlaß für irgendwelche Förmlichkeiten, schließlich sei es seine Pflicht zu helfen. Unter seiner gütigen Protektion ging das Leben seinen Gang, und nach anderthalb Jahren wurde im Haus ein Sohn geboren. Natürlich gab es Feiern und Rituale, und Suryakant war immer dabei. Der Junge wurde Kiran genannt, auf Suryakants Vorschlag hin. Kiran war ein intelligentes und energisches Kind. Im Alter von acht Monaten und einer Woche konnte er bereits laufen, mit Zwei konnte er sprechen, mit Vier lesen, und zwar nicht nur einzelne Buchstaben, sondern ganze Wörter. Doch in diesem Jahr verlor der Junge auch ein Gutteil seiner natürlichen Fröhlichkeit, er wurde verschlossen und wachsam. Er war jetzt alt genug, um wahrzunehmen, wie die Außenwelt seinen Vater sah. Er bemerkte die scherzhaft-verächtliche Haltung, die die Kinder, mit denen er befreundet war, und deren Eltern gegenüber dem Pandit an den Tag legten, spürte, daß sie ihn als vernachlässigbare Größe abtaten, nicht dumm, aber glücklos, ein Objekt mitleidigen Bedauerns, nicht aber echten Mitgefühls. Kiran hatte für all das keine Worte, aber er wußte es so sicher, wie er wußte, daß seine Mutter als schön galt. In diesem Jahr kam die Kumbh Mela nach den üblichen zwölf Jahren wieder nach Nashik. Natürlich ging Kiran mit seiner Mutter, Suryakant-kaka und einigen Nachbarn hin, um ins Wasser des heiligen Flusses einzutauchen, ungläubig und benommen angesichts der unvorstellbaren Mengen von Pilgern, voller Staunen über die Moschusbeutel, die von den Zigeunerinnen verkauft wurden. Suryakant-kaka kaufte Kiran ein Eis, was noch nie vorgekommen war und Kiran mit heller Freude erfüllte, so daß er sich an Suryakant-kakas breites Handgelenk hängte. Schließlich kamen sie nach Ramkund, wo angeblich Shree Ram sein tägliches Bad genommen hatte, und hier erspähte Kiran durch ein Dickicht aus sich bewegenden Ellbogen und Hüften seinen Vater. Er stand auf dem rutschigen nassen Stein, der ins Wasser führte, in der einen Hand ein Thali 627 mit weißem Kumkum 353 , in der anderen einen kleinen metallenen Stempel. Raghavendra hielt sich bereit, um den Pilgern Tilaks 635 zu verabreichen, so wie er selbst eines auf der Stirn hatte. Ein Pilger blieb stehen, und Raghavendra brachte ihm das Naamam 437 auf, und da bemerkte Kiran plötzlich, wie dünn sein Vater war, die Haut an seinem Arm war ganz schlaff, und seine gebeugte Haltung drückte eine Ehrerbietigkeit, eine Demut aus, die Kiran wütend machte. Der Pilger legte Raghavendra ein paar Münzen in die Hand, und zum ersten Mal in seinem Leben spürte Kiran, wie ihm bittere Verachtung in die Kehle stieg, er empfand Abscheu für seinen Vater. Dieser Mann war schwach, er war unfähig. Jetzt begriff er, warum die Nachbarn über seinen Vater lachten, warum sie auf diese bestimmte Weise »Ay, Pandita« riefen, wenn sie ihn sahen, und als er es begriff, wurde ihm übel. Er weigerte sich, noch näher zum Fluß zu gehen, was immer die anderen auch sagen mochten, und ab diesem Tag hieß es in der Familie, Kiran habe Angst vor dem Wasser. Diese Geschichte hielt sich und Kirans Verachtung ebenso, bis er eines Nachmittags, es war der erste Tag seines zweiten Schuljahrs, nach Hause kam und eine Menschentraube vor dem Haus stehen sah. Irgend etwas war passiert. Hände griffen nach ihm, doch er riß sich los, trat und biß sich seinen Weg ins Haus frei. Drinnen fand er die Dorfältesten vor, verängstigt und zugleich von prickelnder Erregung erfüllt. Einer von ihnen zeigte nach oben: Blut rann die Wand herunter und sammelte sich unten in einer Pfütze. Kiran schrie, rannte die Treppe hinauf, hämmerte gegen die Knie eines Mannes, der die Tür versperrte, und stürmte hinaus aufs Dach. Doch es war nicht Kirans Vater, der tot auf dem Dach lag, sondern Suryakant-kaka. Er lag bäuchlings auf dem Charpai, mit nacktem Oberkörper. Kiran erkannte den breiten Rücken, die massigen Schultern. Doch Surya-kant-kakas Hinterkopf war nur noch eine breiige Masse, rot und schwarz und cremefarben mit weißen Splittern. Ein weiterer unsicherer Schritt, und dann sah Kiran, daß Suryakant-kakas Gesicht noch völlig intakt war, er starrte mit einer Art konzentrierter Verwunderung auf den Boden, als enthielte der löchrige Backstein ganze Bedeutungswelten. Suryakant-kaka hatte Kiran die Namen der Sterne gelehrt und ihm die Sternbilder gezeigt. Jetzt war er zur Hälfte zerstört.
    Ein Nachbar faßte Kiran an den Schultern und

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