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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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verkrüppelten Leib. Er hatte mich angesehen, in mich hineingesehen. Er hatte mir Darshan gegeben und sein Darshan von mir bekommen. Er war jetzt in mir. Er schlug in meinem Herzen. Ich nahm seine große Kraft mit, spürte, wie sie durch meine Arme floß, so konkret wie mein eigenes Blut. Ich sauste auf meinem Roller durch die Stadt, schwebte geradezu durch die vertrauten Straßen, durch einzelne nächtliche Verkehrsballungen hindurch, mühelos und entspannt. Ich konnte vorhersehen, wann die PKWs und Autorikschas sich ins Gehege kommen und wann sie wieder auseinanderdriften würden, ich erkannte die Geometrie ihrer Fahrt. Ich wußte, wo sie hinfuhren, wo die vorbeisausenden Scheinwerfer erlöschen würden. Ich begab mich in den schimmernden Strom hinein und war ohne Furcht, denn mein Körper kannte das Fließen dieses Flusses. Seine Wasser strömten durch mich hindurch.

    Ich kam nach Hause, aß mit Bunty zu Abend und bat ihn, mir den nächstmöglichen Flug nach Singapur zu buchen. Doch erst hatte ich noch einen weiteren Gang zu erledigen. Ich wischte Buntys hausmütterliches Gegrummel weg, setzte mich noch einmal auf die Vespa und flitzte davon. Wieder kam ich gut voran, hatte grüne Welle, und schon nach fünfundzwanzig Minuten war ich in der Yari Road. Danach mußte ich zweimal Taxifahrer nach dem Weg fragen, doch nach dem letzten Abbiegen an der Ecke mit dem Tabakgeschäft wußte ich, wo ich war. Ich hatte mir die Gegend tausendmal von Jojo beschreiben lassen, damit ich mir ihr Viertel, ihr Zuhause vorstellen konnte. Ich folgte der Linkskurve und parkte vor ihrem Haus. Ihr blauer Honda stand auf dem zweiten Parkplatz rechter Hand, Nummer 36 A. Ich zählte die Stockwerke ab, eins, zwei, drei, und fand die Eckwohnung. Das Licht war an. Ich wählte ihre Nummer.
    »Ganesh?« fragte sie. »Ganesh?«
    »Wer sollte es auf diesem Handy denn sonst sein?«
    »Werd nicht frech. Wo warst du die ganze Zeit?«
    »Ich mußte verreisen.«
    »Und das heißt, daß du mich nicht anrufen kannst? Was ist bloß los mit dir?«
    »Alles ist in bester Ordnung, Jojo. Warum bist du so wütend?«
    »Weil du ein gedankenloser Idiot bist.«
    Ich mußte lachen. Kein anderer Mensch auf dieser Welt redete so mit mir. »Ich glaube, du magst mich, Jojo.«
    »Nur minimal. Und selbst bei dem bißchen frage ich mich, warum. Ich muß verrückt sein.«
    Vor einem der Fenster bewegte sich ein Schatten. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie sie durchs Zimmer stampfte und ihre freie Hand gegen diesen fernen Idioten schwang. »Wenn du mich wenigstens ein bißchen magst, Jojo, hätte ich einen Vorschlag.«
    »Nämlich?«
    »Wir könnten uns treffen.«
    »Gaitonde, ich dachte, das hätten wir alles schon durchgekaut.«
    »Jetzt ist die Lage aber anders.«
    »Warum?«
    »Weil ich mich verändert habe.«
    »Inwiefern?«
    »Da mußt du dich schon mit mir treffen. Sonst wirst du es nie erfahren.«
    Sie dachte darüber nach. Der Schatten schob sich wieder an ihrem Fenster vorbei. Dann sagte sie: »Bei mir hat sich nichts verändert, Gaitonde.«
    »Du möchtest dich also nicht mit mir treffen?«
    »Ich möchte mich nicht mit dir treffen.«
    »Letzte Gelegenheit.«
    »Diskutier nicht mit mir herum, Gaitonde. Ich bin zu müde.«
    Ich diskutierte nicht mit ihr herum. Ich plauderte noch zehn Minuten mit ihr, über ihre Arbeit, ihren neuen Thoku, ihre Mädchen. Es tat gut, mit ihr zu reden, wieder in unser Geplänkel, unsere Freundschaft einzusteigen.
    »Du klingst glücklich«, sagte sie.
    »Das bin ich auch«, sagte ich. »Das bin ich.« Ich hob die Hand in Richtung der beiden Wachleute vor ihrem Haus, die mich schließlich und endlich bemerkt hatten, sich von ihren bequemen Stühlen erhoben und ans Tor kamen. »Ich muß aufhören, Jojo«, sagte ich und schaltete das Handy aus.
    »Hey, Chef«, sagte der eine Wachmann durchs Tor. »Du blockierst die Einfahrt.«
    Ich blockierte überhaupt nichts, und sie nervten, aber ich war in freundlicher Stimmung. »Ich fahre schon«, sagte ich leise. Ich drehte den Zündschlüssel um und machte den Scheinwerfer an. Da kam Jojo ans Fenster. Sie muß den einzelnen schwachen Lichtstrahl im Dunkeln gesehen haben. Ich sah sie, sah, wie das Licht auf ihrem Kopf und ihren Schultern spielte. Aber ich bin mir sicher, daß sie mich nicht gesehen hat.

    Ich war in Singapur, als wir den Mullah in London liquidierten. »Maulana Mehmood Ghouse in London ermordet«, titelte die Straits Times. Der BBC World Report widmete der Ermordung einen

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