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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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seltsamsten Orten, fanden Beistand und Trost bei Bauern und Postbeamten. Es gab Polizisten, die sich als Wahrsager betätigten und linkshändiges Tantra praktizierten. Wo sollte Sartaj nach Gaitondes Guru suchen? Er wußte es nicht.

    »Haben Sie einen Guru?« fragte er Kamble, als sie sich am Sonntagnachmittag in der Nähe des Apsara-Kinos trafen. Sie saßen bei einer Cola in einem Restaurant ein Stück die Straße hinunter und warteten. Kamble trug seinen Sonntagsstaat, einen silbergrauen Bandhgalla-Anzug 053 ; er mußte später noch zu einer Hochzeit.
    »Klar hab ich einen Guru.« Kamble zog seine Jacke aus. Darunter trug er ein silberglänzendes Hemd mit Nehru-Kragen. »Er wohnt in Amravati. Einmal im Jahr gehe ich zu einem Darshan zu ihm. Hier.« Er beugte sich vor und zog eine seiner beiden goldenen Halsketten hervor. Der sechseckige Anhänger umschloß ein kleines Bild seines Gurus, eines rundgesichtigen Mannes mit buschigem Bart. »Er heißt Sandilya Baba. Er verehrt Ambadevi. Sie hat ihm viele Darshans gegeben.«
    »Sie kommt zu ihm und spricht mit ihm?« Sartaj konnte sich nur mit Mühe einen ironischen Unterton verkneifen.
    »Ja, sie spricht mit ihm. Er ist der zufriedenste Mensch, dem ich je begegnet bin. Immer gut drauf.« Kamble steckte den Anhänger wieder in sein Hemd. »Ihr Sardars habt doch auch Gurus, oder nicht? Außer den Ursprünglichen?«
    »Ja, wir haben Babas verschiedenster Art. Manche Leute folgen ihnen.«
    »Sie nicht?«
    »Nein, ich nicht.«
    »Sie haben keinen Guru! Warum nicht?«
    Es war eine völlig berechtigte Frage, auf die Sartaj jedoch keine Antwort wußte. Er tippte auf seine Uhr. »Es ist gleich soweit«, sagte er. »Wir sollten uns bereitmachen.«
    Kamble schob sich aus der Nische heraus und nahm seine Flasche. »Sie sollten sich einen Guru suchen«, sagte er. »Kein Mensch kommt ohne einen Führer durchs Leben.«
    Er ging zu einem Tisch nahe der Tür, nahm Platz und schlug eine Zeitung auf. Sie wollten so tun, als würden sie sich nicht kennen, und Kamble fungierte als stille taktische Reserve für den Fall, daß die Jungen die Flucht ergriffen. Er hätte diesen Zweck besser erfüllt, wenn sein Anzug und sein Hemd nicht so auffällig gewesen wären, aber das war nun einmal sein Stil. Sartaj wischte die narbige Resopalplatte seines Tischs mit einer Papierserviette sauber und fragte sich, was Baba Sandilya wohl von glänzenden Hemden hielt, von Schmiergeldern und Schießereien. Vielleicht hatte er die Aufgabe, Verfehlungen im Rahmen der höheren Gerechtigkeit des Himmels wiedergutzumachen, vielleicht sah er es nicht so eng, wenn da und dort Regeln gebrochen wurden. Er war ein Führer für das Kaliyug, dieser Sandilya Baba.
    Der Besitzer des Restaurants stand auf einem Stuhl und drehte an den Knöpfen des Radios, das in einem kleinen Regal über einem Schrank stand. Endlich bekam er einen Sender herein, und ein Song aus dem Film Guide tropfte in das leise Klappern und Schwirren der Deckenventilatoren. Sartaj trank seine Cola aus und bestellte noch eine. Kamble glaubte also an Ambadevi, und zwar durch Vermittlung Sandilya Babas. Glaube muß etwas Schönes sein, dachte er. Er selbst hatte nie geglaubt. Schon als Kind, wenn er neben Papa-ji im Gurudwara gestanden, die Augen geschlossen und die vorgeschriebenen Gebete gesprochen hatte, war es ihm schwergefallen, sich wirklich zu versenken. Für Papa-ji war Vaheguru eine lebendige Kraft gewesen, die an jedem Tag seines Lebens bei ihm war, er hatte jeden Morgen zu Vaheguru gebetet, und er hatte seinen Namen geflüstert, wenn die Gicht seinen Zeh anschwellen ließ. Für Sartaj aber war Vaheguru immer ein ferner, verschwommener Begriff gewesen, eine Idee, an die er gern geglaubt hätte. Wenn er sich an ihn wandte, stellte sich nur ein schmerzhaftes Gefühl des Verlustes ein. Trotzdem ging er mit Ma in den Gurudwara, ließ seine Haare wachsen, trug einen Kara und hatte einen Miniaturkirpan in der Tasche. Er tat es der tröstlichen Wirkung der Tradition wegen, aus Liebe zu seinen Eltern und aus Stolz darauf, daß er Sikh war. Aber er trug diesen geheimen Verlust, diese Abwesenheit Vahegurus in sich. Ja, es wäre schön gewesen, einen Guru zu haben, einen Mittler, der mit dem Allmächtigen persönliche Gespräche führte. Doch Papa-ji hatte nichts von diesen neumodischen Babas, diesen Scharlatanen gehalten: Die Khalsa 330 habe das Guru Granth Sahib 253 , hatte er gesagt, und dieses Buch sei der einzige Guru, den ein Sikh brauche. Er war in

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