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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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barfuß, zäh, mißtrauisch. Aber Jayanth hatte sie eingewickelt, mit Geld vor allem. Er habe einen Freund, hatte er gesagt, der suche ein paar clevere Jungs für einen Job. »Was für einen Job?« hatte Rotes T-Shirt gefragt und seinen Mittelfinger in einen Ring aus Daumen und Zeigefinger der anderen Hand gesteckt. Jayanth hatte sie beruhigt: Nichts mit Sex, der Freund handle mit diversen Waren und brauche ein paar aufgeweckte Jungen für Kurierdienste und Transport. Er hatte ihnen hundert Rupien gegeben und gesagt, es werde noch mehr Cash dabei herausspringen, und zwar haufenweise.
    »Sie haben den Jungen gesagt, ich sei ein Bhai?« fragte Sartaj.
    »Nein, nein, nur so ein Import-Export-Mensch. Sonst hätte ich nie was aus denen rausgekriegt. Und wie Sie sehen, hat es ja bestens funktioniert. Wir haben sie, die kleinen Scheißer. Morgen bring ich sie Ihnen.«
    Informanten wollten noch mehr gelobt werden als Zeugen, also lobte Sartaj Jayanth. Manche bildeten sich ein, ihre Zuträgerei mache sie zu Mitgliedern eines Teams der Verbrechensbekämpfung: sie und Sartaj gegen die kriminellen Schweine. Sartaj hatte das x-mal erlebt, und er staunte immer wieder, wie sich noch die mickrigsten Diebe als Detektive fühlten, mit welcher Selbstverständlichkeit sie die eigenen Untaten mit dem billigen Gold der Moral überzogen. Wir alle stinken, dachte er, aber keiner von uns will den eigenen Gestank riechen. Und er sagte: »Ja, wir haben sie, die kleinen Scheißer. Gut gemacht.«
    Sartaj notierte sich die Namen der Chokras und vereinbarte mit Jayanth ein Treffen am Nachmittag darauf. Er legte auf und spürte eine leise Erregung, wie immer, wenn es in einem Fall voranging, wenn man an den steilen Klippen des Unbekannten einen höchst unsicheren Halt fand. Doch schon im nächsten Augenblick überfiel ihn wie ein Monsunfieber wieder die Angst vor Bomben, Gurus und Vernichtung. Er kam sich töricht vor, weil er sich über Jayanth freute, weil er an seinen anderen Fällen weiterarbeitete. Was für einen Zweck hatte es, sich mit dem täglichen Einerlei von Erpressung, Diebstahl und Mord zu befassen, wenn diese massive Angst wie eine schwarze Wolke über einem hing? Es war eine abstrakte Gefahr, dieses Feuer, das alles hinwegfegen würde, es war nicht real. Doch mit seinen eindringlichen Bildern verdrängte es das Banale. Sartaj blinzelte. Er saß an seinem Schreibtisch, in seinem schmuddeligen kleinen Büro mit den abgewetzten Bänken und dem Durcheinander in den Regalen. Kamble arbeitete an einem Bericht. Im Flur draußen lachten zwei Polizisten. Durch eines der Fenster fiel ein Fleck Sonnenlicht auf den Boden, und auf dem Fensterbrett hüpfte ein Spatzenpärchen hin und her. Sartaj sah alles wie im Traum, wie hinter einem Schleier aus hauchdünnem Morgendunst. Gestattete man sich, an dieses Ungeheuerliche zu glauben, und sei es nur ein klein wenig, dann trat die normale Welt mit ihren Schmiergeldern, ihren Scheidungen und Stromrechnungen in den Hintergrund. Sie wurde verschluckt.
    Halte dich an die Details. Sartaj rieb sich die Augen und schüttelte den Kopf. Halte dich an die Details. Die Einzelheiten sind real. Irgendwie war es wichtig, sich um Mrs. Kamala Pandey und ihren schäbigen Ehebruch zu kümmern, um den Chokra mit dem roten T-Shirt. Sartaj empfand Loyalität gegenüber dem Normalen, eine plötzliche Zuneigung für Mrs. Pandey mit ihrer glatten Schönheit, ihrem geschminkten Gesicht und ihrer Gier nach Glamour. Doch immer wieder drängte sich die Frage auf: Wer war Gaitondes Guru? Sartaj tappte im dunkeln. Gurus gab es überall, an jeder Straßenecke. Es gab muslimische Gurus, vedische Gurus, Gurus, die als Kinder japanischer Eltern auf Hawaii geboren waren, und Gurus, die behaupteten, es gebe keinen Gott. Es gab Gurus, die Kräuterpulver verkauften, und andere, die Krebs heilten, indem sie ihren Patienten magische Goldfische zu schlucken gaben. Jeder von ihnen konnte Gaitondes Guru sein. Vielleicht war sein Guru für andere gar kein Guru, vielleicht war Gaitonde Schüler eines Privatgurus gewesen. Sartaj hatte einmal einen Yogi gekannt, einen leitenden Angestellten eines Pharmaunternehmens in Chembur, der ausschließlich von Obst lebte, als Schüler nur die eigenen Kinder und enge Freunde akzeptierte und keine Geschenke annahm; am Guru Purnima 254 umgebe ihn ein goldener Schein, hatte es geheißen. Gaitondes geheimer Guru konnte ein gänzlich unbekannter Guru sein. Die Menschen fanden spirituelle Bindungen an den

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