Der Pate von Bombay
daß der Besitzer des Restaurants, die Kellner und die drei anderen Gäste zusammenfuhren. »Kamble!«
Jatin hatte sein Dreieck fertig, als Kamble an den Tisch zurückkam, sichtlich verärgert. »Was ist?«
»Geben Sie mir Ihr Handy.« Sartaj nahm es, löschte das Display und legte es vor Jatin und seinen Dreiecken auf den Tisch.
Jatin drückte mit einem sehr dünnen, sehr schmutzigen Finger einige Tasten. Plötzlich kam eine Verbindung zustande, und Sartaj drückte schnell auf die Ende-Taste.
Kamble lehnte sich über Sartajs Schulter. »Das ist eine Handynummer«, sagte er in dem ehrfürchtigen Ton, den er normalerweise sechzehnjährigen Neuzugängen in der Delite Dance Bar vorbehielt. »Die hab ich gerade gewählt.«
Sartaj nickte und drückte noch einmal die Ende-Taste, um die Nummer zu löschen. »Jatin, erinnerst du dich an die Nummer, die der Glatzkopf gewählt hat?«
»Piep-piiiep-piiiep-piep- piep -pap«, sagte Jatin. Er gab noch mehr Pieps und Paps in unterschiedlichen Tonlagen von sich, dann nickte er, und drückte von neuem die Tasten, bewegte den Finger ohne Eile und mit absoluter Sicherheit von einer zur nächsten. Schließlich nahm er ihn mit einer schwungvollen Bewegung fort und begann eine neue Serviette zu falten.
Sartaj drehte das Handy zu sich her. »Das ist die Nummer, die der Glatzkopf gewählt hat, Jatin? Nachdem ihr ihm das Päckchen gegeben habt?«
»Ja.« Jatin stellte das dritte Dreieck auf den Tisch. Zusammen mit den beiden anderen bildete es ein perfektes größeres Dreieck.
Kamble stemmte die Hände in die Hüften. »Maderchod«, sagte er. »Erstaunlich. Geben Sie dem Kerl ein Faluda.«
»Sehr oft«, sagte Sartaj zu Mary, »ist Verbrechensaufklärung reine Glückssache. Meistens sogar. Man sitzt herum, und plötzlich fällt einem etwas in den Schoß. Und dann tut man so, als sei man die ganze Zeit gezielt vorgegangen.«
»In diesem Fall stimmt das aber nicht«, sagte Mary. »Sie haben nicht herumgesessen. Sie haben den Taschendieb aufgespürt. Sie haben ihn auf die Jungen angesetzt. Sie haben den Jungen ein Essen spendiert. Sie waren nett zu ihnen, statt sie zu schlagen, wie dieser Idiot es wollte.«
»Kamble«, sagte Sartaj. Sie saßen auf einer Bank an der Strandpromenade in der Carter Road, vor einem wahrhaft grandiosen Sonnenuntergang mit rot angestrahlten, fedrigen Wolkenkringeln. Spaziergänger gingen zügig vorbei, und einen Moment lang schnüffelte ein angeleinter junger Hund an Sartajs und Marys Knöcheln. »Er hat nur seine Rolle gespielt. Jedenfalls wird es bestimmt nicht einfach werden, den Apradhi zu fassen. Wir haben ihn von zwei verschiedenen Telefonkabinen aus anzurufen versucht, aber er ist nicht rangegangen. Der Kerl ist vorsichtig, das spüre ich.«
»Sie werden ihn schon erwischen. Und dieser Kamble - der hätte die Jungen garantiert hart angefaßt, wenn Sie ihn gelassen hätten, und der Kleine hätte Ihnen die Nummer nie gesagt. Sie hatten diesen Aufklärungserfolg, weil Sie offen dafür waren. Sie haben hingehört. Das wissen Sie doch selbst.«
Ja, Sartaj wußte es. Er glaubte seit vielen Jahren daran, hatte es von seinem Vater gelernt, noch ehe er zur Polizei gegangen war, und er hatte es an so manchen Polizeischüler weitergegeben. Aber es war schön, daß Mary es sagte und dabei beruhigend sein Handgelenk umfaßte. Der junge Hund kam wieder herangesprungen, und Mary beugte sich hinab, um ihm die Ohren zu kraulen. Sartaj spürte noch ihre Hand auf seiner Haut, stärker als zuvor. »Ja«, sagte er abwesend. »Ja.«
»Was, ja?« Der Hund tappte auf seinen viel zu großen Pfoten davon, und Mary sah Sartaj spitzbübisch-belustigt an.
»Nichts«, sagte Sartaj schnell. »Man muß hinhören, das stimmt, das Problem ist nur, daß man manchmal nicht weiß, worauf man achten muß. Das ist wie mit einem Lied, von dem man die Melodie nicht kennt. Also kann man nur herumgehen und schauen und hören. Manchmal kommt man sich dabei vor wie ein Idiot.«
Sie sah ihm gerade in die Augen und hielt seinen Blick fest. »Sie sind kein Idiot«, sagte sie.
Es war eine Liebeserklärung, und jetzt zögerte Sartaj nicht länger. Er nahm ihre Hand, und sie blieben händchenhaltend nebeneinander sitzen. Er hätte sie zu gern geküßt, aber vor ihnen gingen Großmütter spazieren, Babys wurden vorbeigeschoben, Straßenkinder rannten umher, und so saßen sie nur da. Sartaj dachte an Marys Worte: »Sie sind kein Idiot.« Wenn er das Kamble erzählte, würde Kamble sich über
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